Apr 2022

Wenn Lüge zur Wahrheit wird, gibt es immer Menschen, die für wahr halten, was gesagt wird, und Menschen, die so tun, als ob sie für wahr halten, was gesagt wird, aber insgeheim wissen, dass das Gesagte nicht stimmt.

Und dann ist er, der Arbeitsscheue, ausgerechnet in einer Gegend mit ausgeprägtem Arbeitsethos gelandet. Was soll er jetzt bloß mit seiner Arbeitsscheu anstellen? Nichtstun als Aufgabe, das versteht hier doch niemand.

In Sachen Glaubwürdigkeit: man höre aufmerksam darauf, wie gesprochen wird. Es kommt weniger auf den Inhalt an, als auf die Art und Weise.

Entweder im Zentrum oder weit weg vom Zentrum. Alles andere ist zu anstrengend.

Das Zynische als Lebenshaltung, die dem Leben paradoxerweise auf ganz intime, fast verborgene Weise zugetan ist.

Die Kundenzufriedenheit in diesem Haus besitzt leider nicht die oberste Priorität. Gut, bei manchen Kunden kann man das verstehen. Aber die Kundschaft und ihr Anliegen so grundsätzlich zu ignorieren, wie das hier geschieht, ist doch ein starkes Stück.

”Ich bin nicht einverstanden, aber ich muss zugeben, dass …” So oder so ähnlich formulieren sich die Kompromisse des Lebens. Irgendwann ”läuft das Fass über” und man denkt sich: jetzt möchte ich auch gern mal ”am Drücker sitzen”.

Auch heute noch (wenn nicht heute wieder und warum auch nicht) bedeutet verheiratet zu sein für die Frau etwas anderes als für den Mann. Das hat weniger mit dem Thema Gleichberechtigung zu tun, als mit der (aktuell unscharfen und zum Teil hartnäckig bezweifelten) Verschiedenartigkeit der Geschlechter.

Je länger ein Krieg dauert, desto mehr verschwimmen die Gründe, weswegen er geführt wird.

Liebe: man fällt einander auf und aufeinander herein. Dann macht man das Beste (sprich: das Mögliche) daraus.

Pazifismus und Militarismus als zwei Seiten ein und desselben, die selten bis nie zu brauchbaren Lösungen führen. Anders gesagt: wer immer nur nachgibt, wird zum Spielball fremder Interessen und Machtansprüche, wer sofort zuschlägt, zum ständigen Konfliktverursacher. Und weiter: Pazifismus muss man sich leisten können, Militarismus auch.

Im Hof liegt ein Haufen Holz. Gestern angeliefert. Arbeit für mindestens zwei Tage. Stapeln und Hacken auf Brennraumgröße. Der Künstler bei der Arbeit.

Als er an diesem, an manchen Stellen zu einem kleinen Fluss sich ausweitenden Kanal entlang spazierte, hatte er einmal mehr den Eindruck, dass diese Stadt, in der zu leben er sich entschlossen hatte, aus mehr oder weniger zusammenhanglosen Teilen besteht. Gewiss, ab und an schöne Ansichten, zum Beispiel die Stelle, an der der Kanal sich zu einer kleinen Bucht ausbeult und einem herrschaftlichen Anwesen zur Geltung verhilft, dann aber zuhauf Durchgangsstraßenarchitektur.

Eine pluralistische, multikulturelle Gesellschaft bedarf, neben einer lockeren, für alle verbindlichen Ordnung, vor allem einer toleranten, respektvollen und spielerisch-kreativen Gestaltung.

Bleibe augenblicklich hinter meinen Erwartungen zurück. Komme über Klecksereien und Farbpfützen nicht hinaus. Aber das wollte ich ja so. Jetzt kann ich schauen, wie ich damit klar komme.

Früher konnte man sich über den Erwerb eines Autos noch freuen. Heute weiß man einen Autokauf - ehrlicher Weise - nicht mehr überzeugend zu rechtfertigen (je doller das Fahrzeug, desto weniger). Fortbewegungstechnisch fühlt man sich zurückversetzt in vormotorische Zeiten. Man hat nun wieder mit Pferdestärken zu rechnen, nicht mehr mit PS.

Verheißungsvoll erschienen die Anfänge seiner Malerei, hieß es. Von ihm könne man noch viel erwarten, wurde gesagt. Aber die Erwartung erfüllte sich nicht. Es blieb bei bloßer Verheißung, einem nie eingelösten Versprechen, ein langes Leben lang.

Man kann sich heute kaum vorstellen, dass es einmal eine Zeit gegeben hat, da sich Fernsehen als (Übertragungs) Medium zu rechtfertigen hatte. Alles eine Frage der Gewohnheit (oder Gewöhnung?).

Momentan überhaupt nicht vorstellbar für mich: diese Lichtflucht des Novembers.

Wenn man das geahnt hätte vor Jahren, dass man einmal unter Föhnlage und Saharastaub leiden würde. Man wäre nicht hierher gezogen. Man hätte einen (Wohn) Ort verlässlicher, kühlfeuchter Brise bevorzugt.

Tägliche Erkenntnis: dass du alles Notwendige sofort tun kannst, hier und jetzt, ohne Umschweife.

Leise Geräusche über mir. Ich meine Tiere übers Dach huschen zu hören. Dabei handelt es sich (nur) um Regentropfen, die sanft ihre Quadratmillimeter Dach aufsuchen.

Das Croissant deutscher Machart (Ausnahmen bestätigen die Regel): schwer, teigig, alles andere als luftig. Es fehlt ihm der knusprig-lockere Schmelz seiner französischen Verwandtschaft.

Er kann sich von seinem Tätigsein nicht mehr lösen. Ganz in Besitz genommen hat es ihn und es hängt von ihm, dem Tätigsein, ab, ob je und wann überhaupt er entlassen wird und zur Ruhe kommen kann.

Das Leben selbst formuliert den Tod. In der Jugendzeit bleibt diese Formulierung, auf Grund mangelnder Erfahrung, meist etwas unleserlich, im Alter dagegen lässt sie an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Man kann ihrer Botschaft durch Ablenkungen vorübergehend entgehen. Sobald man aber innehält, sich der Stille unangetasteten und unantastbaren Seins aussetzt, erklingt ihre Notation gleich einem Generalbass frühbarocker Musik.

Der Tod gehört zum Leben, wie das Leben zum Tod. Es könnte mich erschrecken, dass ich nur ein winziger Teil dieses überwältigenden Prozesses bin.

Vielleicht geht es der Natur wie dem Mensch (der ja Teil der Natur ist). Sie will wahrgenommen werden. Leider besitzt sie kein Smartphone und auch keinen Account bei Instagram, Twitter und/oder Facebook. Vermutlich müsste man nur ein wenig mehr hinschauen, hinriechen, hinfühlen. Das würde ihr möglicherweise gut tun. Aber vielleicht ist das auch nur eine naive Vorstellung und der Natur ist es völlig gleich, ob da jemand hinguckt oder nicht (wobei man davon lernen könnte).

Alles ist der Erde entlockt, auf mehr oder weniger direktem Weg (bzw. Umweg), selbst ich. Das müsste mir zu denken geben.

Das Leben wird weder durch Wiederholungen erträglicher, noch durch einzigartige Abwechslungen attraktiver. Es peinigt den, der meint, es sei ein leeres Gefäß, das er füllen müsste (auf Teufel komm raus).

Die Woche beginnt mit allerlei unaufschiebbaren Häuslichkeiten. Hauptsache man hat zu tun.

Traum. Lande mit einem Gleitschirm auf einer baumumstandenen Wiese zwischen allerlei Publikum, nachdem ich einige Zeit vergeblich nach einem sicheren Landeplatz Ausschau gehalten habe. Zunächst ist nicht klar, ob mir die Leute freundlich gesinnt sind. Doch ich komme ja als Helfer. Nach einigem Hin und Her nehmen sie mich mit in die umkämpfte Stadt. Zwischen Trümmern versuchen wir eine neue Verteidigungslinie aufzubauen, wissen aber nicht so recht wie. Wir müssen uns verteidigen, unbedingt, aber wir besitzen keine Waffen. In einem zerschossenen Haus wird gegessen. Ein Raum mit ein paar alten Tischen und Bänken. Aus einem Sammelbehälter wird verteilt. Jeder bekommt etwas anderes. Mir gibt man ein kleines Brot.

Worüber ließe sich noch philosophieren? Der Weisheit letzter Schluss ist längst gesagt und darum verpasst. Einen Neuen wird es nicht geben.

Das je zu Erreichende muss mir in jedem Fall leicht fallen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es etwas Gelingendes geben könnte, das gelingt nur, weil es schwerfällt.

Wenn einer um alles, das ihn herausfordert, einen Bogen macht. Ständig scheint er zu sagen: das will ich nicht.

Seit ich mir nichts mehr vornehme, stehe ich in einem ausgezeichneten Einvernehmen mit mir selbst. Ich glaube, ich habe den Zenit meiner Leistungsunwilligkeit erreicht.

Geschwind bückt sich das kleine Mädchen, obwohl die Mutter ungeduldig weiterdrängt, um am Rand des Bürgersteigs etwas Glänzendes zwischen allerlei Wohlstandsmüll herauszuklauben. Ein Ringlein, wie man es in Wundertüten (gibt es die überhaupt noch?) finden kann. Ein Seligkeitsding.

Die Obdachlosen, die unter der S-Bahnbrücke kampieren, krakeelen lautstark, während die Flasche rundgeht. Damit waren sie gestern Abend schon beschäftigt und sie führen diese Beschäftigung auch heute Morgen fort. Einer hat seine Liegestatt über einen Stromkasten geworfen, als ob er sie lüften wollte.

Wie eine Flasche kostbaren Weins effektvoll zu Grunde geht. Der Boden der eigentlich stabil erscheinenden Tragtüte gibt nach, die Flasche saust zu Boden, wo sie zerschellt und ihren Inhalt über Teppich und Parkett verteilt. Ort des etwas peinlichen Vorfalls: die Rezeption eines Hotels.

Von der schleichenden Infantilisierung der Erwachsenenwelt.

”Gnädige Frau”, sage ich zur Zugbegleiterin, die mich ziemlich brüsk darauf aufmerksam macht, dass ich keinen Mundschutz trage, ”ich sitze allein im Abteil, ich bin geimpft und genesen. Wen, bitte schön, soll ich anstecken? Sie daraufhin: ”Sie mögen geimpft sein und genesen, das ist ganz gleich, aber sie geben ein schlechtes Vorbild für andere. Also legen sie bitte ihre Maske an.” Immerhin hat sie bitte gesagt.

Gern wird von zivilem Ungehorsam gesprochen, wenig aber darüber, wann und ob ziviler Ungehorsam berechtigt ist, sinnvoll und möglicherweise ein unbedingtes Muss.

Von einem ausgeprägten Nationalbewusstsein ist bei mir nicht zu sprechen. Mein spärliches Nationalgefühl hat eher mit Menschen zu tun, ganz allgemein, ist also übernational. Aber natürlich gibt es Nationen und ich selbst gehöre einer an, was mein Pass bestätigt (und mir so angenehm wie mitunter unangenehm bis lästig ist, je nachdem, was Menschen meiner Nationalität so treiben).