Dec 2022

Warum dies künstlerische Ausdrucksverlangen? Weil es sich um das Einzige im menschlichen Dasein handelt, das ohne Begründung auskommt, aber nie grundlos ist.

Ich lebe in einer und bin eine Verfallsmasse, deren Verfallsdatum irgendwann ausläuft. Aber ich tue, um des lieben Friedens willen, als ob es diesen Befund nicht gibt. Täglich lege ich ihn ad acta, verstecke ihn im hintersten Winkel biografischer Details. Doch irgendwann wird er mir fristgerecht und ohne Annahmeverweigerungsrecht zugestellt werden.

Wir können nicht ohne andere leben, aber manchmal kosten einen andere das Leben.

Würden die Menschen immer und überall aus Einsicht handeln (was sie angeblich könnten, wenn sie wollten), würden sie im Paradies leben. Das Dumme ist, dass die Einsichten unterschiedlich und niemand so recht weiß, welches die richtigen sind, die absolut richtigen.

Der Begriff Einbildung steht mit einem Bein in der Hölle und mit dem anderen im Himmel.

Die Europäische Union am Jahresende 2022. Eine wirtschaftspolitische Realität und eine einigungspolitische Illusion. Letztere läge schon lang auf der Hand. Aber es fehlen ausreichend Hände (und darum entsprechende Handlungen).

Der sogenannte gute Geschmack fehlt denen, die wenig oder keinen haben, sagen die, die sich im Besitz eines sogenannten guten Geschmacks wähnen.

Man meint, mit sich selbst sprechen zu können. Man sagt dann, man führe ein Selbstgespräch, gar einen inneren Dialog. Aber handelt es sich dabei wirklich um ein Gespräch? Ist da jemand anderer, mit dem man spricht, oder ist man es (nur) selbst, an den man Worte richtet und von dem Worte zurückkommen? Hält man am Ende nichts anderes als einen Monolog, wenn auch scheinbar aus diversen Mündern gesprochen, in der irrigen Annahme, ein Gespräch zu führen?

Die Herausforderung, Körper und Geist verbunden zu denken und zugleich geschieden.

Nicht jeder Mensch, der geht (stirbt) ist ein Verlust, und nicht jeder, der kommt (geboren wird), stellt sich als eine Bereicherung heraus. Aber es zeugt von Einsicht, davon auszugehen, zumindest solang, bis man eines Besseren belehrt wird.

Wir können Vieles denken und Vieles tun. Wir müssen unser Denken und Handeln aber auch allein verantworten. Nichts wird mehr entschieden unter Deckung höherer, übergeordneter Instanzen, und wenn doch, handelt es sich um Vortäuschung falscher Tatsachen.

Alles zur Erscheinung Kommende existiert für dich (nur!?), weil du ihm sinnlich-seelische Aufmerksamkeit schenkst. Falls du diese Aussage bejahen kannst, was würde das für dich bedeuten?

Ich wäre ganz sicher ein anderer Mensch (ob ein besserer, sei dahingestellt), hätte ich keine Kinder (und Enkelkinder), hätte ich mich nicht um sie gekümmert und würde ich mich nicht um sie kümmern.

Maria hatte nicht nur ein Kind und Josef nicht nur einen Sohn. Das ist wohl aktenkundig.

Gleich bin ich nicht, eher gerne anders. Darauf kann ich mich blindlings verlassen.

Letztendlich muss der Mensch damit leben lernen, dass sein Erkenntnisvermögen grenzenlos endlich ist.

Für mich hat Morgenstund’ nicht nur Gold im Mund, sondern Worte. Ich könnte auch sagen, die Worte - ausgesprochen unaussprechbare - sind das Gold.

Das altbekannte, großartig unauflösbare Erkenntnisdilemma: Denken ist ohne einen”Funktionsapparat” nicht denkbar und ein ”Funktionsapparat” ohne Denken nicht erkennbar.

Der zeitgenössische Descartes: ich denke nicht, also geht es mir besser.

Manche Gedanken, die sich in einem bilden, sind wenig bildfähig. Man lässt sie besser vorbeiziehen, ohne krampfhaft etwas aus ihnen machen zu wollen. Auch kann man unscharfe Gedanken nicht so ohne weiteres scharf stellen. Man ist nicht ausreichend objektiv dazu. Wer schon einmal probiert hat, Gedanken zu ordnen, weiß, wovon hier die Rede ist. Wie gut, zu denken, ohne sich etwas dabei zu denken.

Die Düsternis der Jahreszeit in Vollendung. Ich heiße sie willkommen wie einen Tag im Hochsommer.

Ist müde sein für mich etwas Neues oder bereits tägliche Begleiterscheinung? Muss ich mich jetzt mit Müdigkeit befassen wie mit schlechtem Wetter? Nein, sage ich mir, das nicht, noch hat Müdigkeit keinen anhaltenden Besitz von mir ergriffen. Noch bin ich leidlich tatkräftig, wenn auch nicht wie früher. Haushalten mit meinen Kräften muss ich, aber ich benötige keinen Mittagsschlaf. Pause ja, Schlaf nicht. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen. Aber es wird den unvermeidlichen Alterungsprozess nicht aufhalten können. Ob es mir passt oder nicht, früher oder später werde ich mich mit dem Verlust körperlicher und vielleicht auch geistiger Kraft abfinden müssen. Jung bin ich bei weitem nicht mehr, auch kein Mann in seinen besten Jahren. Ich werde alt, nicht greisenhaft alt, jungalt im Rahmen von alt eben.

Der vollbesetzte Zug bleibt im Bahnhof liegen, einem Bahnhof eher untergeordneter Größe und Bedeutung, einfach so, als ob jemand von jetzt auf gleich die Triebwerke abgestellt und beschlossen hätte, dass sich dieser Zug von nun an keinen Meter mehr weiter bewegt. Die Durchsage des Zugbegleiters, aus der nichts anderes zu entnehmen ist, als man selbst vor Augen hat, nimmt man noch mit Heiterkeit auf. Mit etwas Galgenhumor sagt man sich, was soll man von dieser Bahn auch anderes erwarten als Pannen. Dann aber schlägt der Humor in Unmut um. Es dämmert einem, dass man sich ausgiebig verspäten wird. Anschlusszüge weg, Ersatzverbindungen ungewiss. Kein Grund zur Freude also. Voll Freude allerdings verkündet der Zugbegleiter per Durchsage (und man spürt, wie er sich freut), dass man sich als kleines Trostpflaster im Bordbistro ein Freigetränk, eine kostenlose Flasche Wasser, abholen könnte. Vermutlich denkt er an den Wasserhaushalt älterer Reisender, zu denen man selbst auch gehört. Man überlegt noch ernsthaft, ob man den Zug verlassen, ein Taxi nehmen und die 40 Kilometer zum nächstgelegenen, verkehrstechnisch bedeutungsvolleren Bahnhof fahren soll, mit der vagen Aussicht auf weiterführende Verbindungen. Aber man lässt es dann, weil man zum Glück rechtzeitig erkennt, dass alle Züge, die von diesem größeren, 40 Kilometer entfernten Bahnhof aus passen könnten, genauso auf der Strecke liegen und warten, wie der, in dem man selber sitzt, nur streckenplan-technisch hinter einem. Und dann reibt man sich verwundert die Augen und fragt sich, wie es sein kann, dass in einem so wohlhabenden Land der Zugverkehr nicht weitgehend reibungslos funktioniert.

Man rechnet mit hochmodernen, energieeffizienten, auf neuestem Stand der Technik beruhenden Wohnkomplexen und träumt vom romantischen Altbau.

Ein Verteidigungsbündnis ist - wie der Name sagt - ausschließlich zur Verteidigung geschlossen (im Fall eines seiner Mitglieder angegriffen werden sollte). Es kann für Nichtmitglieder also per Definition keine Bedrohung darstellen, höchstens eine Störung ihrer Interessen.

Wer oder was in der Lage ist, mich zu vereinnahmen, ist auch in der Lage, mir zu schaden. Dies ist, zunächst aufs Individuum bezogen, auch gesamtgesellschaftlich von Relevanz.

Die Kunst stirbt zuletzt.

Kinder dürfen anders sein, als ihre Eltern sind. Damit müssen Eltern klar kommen, sind sie doch ihrerseits auch anders, als ihre Eltern es waren.

Einer Interessengruppe anzugehören, bedeutet (in irgendeiner Weise) abhängig, ihr nicht anzugehören, weitgehend ohne Einfluss zu sein.

Seit ich mich auf das einfache Leben beschränke, ist Alles viel schwieriger geworden.

Die Wahrheit des Lebens besteht aus nichts Anderem als aus Leben (Tod mit inbegriffen).

Der Mensch als Ebenbild Gottes ist etwas anderes als der Mensch für sich. Ebenbildlich hat er Bezug zu einer göttlichen Sphäre, als Mensch unter Menschen nur zu sich selbst (wenn da nicht der Mitmensch wäre).

Das Potenzial eines Menschen wird meist von außen attestiert, gibt zu Hoffnungen Anlass und kommt selten in vollem Umfang zur Verwirklichung.

Einen Interessenausgleich unter Menschen kann es nicht geben, wenn die Einen das Gut der Anderen für sich beanspruchen, noch dazu mit Gewalt. Statt Ausgleich herrscht das Recht der Stärkeren. Sind die Anderen schwach oder vermeinen, schwach zu sein, werden sie sich (in zu erleidendes Unrecht) fügen, sind sie mindestens ebenbürtig, widersetzen (notfalls mit Gewalt).

Ich bin der Meinung, ich habe die Meinung, das geht einem schon über die Lippen. Aber wer würde allen Ernstes behaupten, ich bin die Wahrheit, ich habe die Wahrheit?

Man stellt zu Unrecht das elektronische Schreiben in abwertenden Gegensatz zum Schreiben mit Stift und Papier. Beides hat Vor- und Nachteile. Beides vermag einem künstlerischem Wollen Ausdruck zu geben. Ich persönlich pflege immer (auch) noch das Handschriftliche, aus einer Art motorischer Sorge heraus, die vielleicht über die nur rein motorische Fragestellung hinausreicht.

Meine (Lebens) Geschichte umfasst mehr als Artefakte über sie erzählen können, auf alle Fälle nicht weniger.

Wir kommen nicht drumrum, uns unsere Freiheitsillusion etwas kosten zu lassen. Und: es handelt sich um eine wirklich lohnenswerte Illusion (fast religiösen Charakters).

Als Langeweile mich zum ersten Mal befiel, hatte ich noch keinen Begriff von ihr. Ich konnte von ihr noch nicht sagen, sie länge die Zeit, ohne sie zu erfüllen.

Die Gegenwart ist gegenwärtig auch nicht zu beneiden. Einerseits ist sie einem enormen Innovationsdruck ausgesetzt, andererseits muss sie sich Traditionsverlust vorwerfen lassen. Eine Zukunft scheint sie gar nicht mehr zu haben.

Ich bin verwurzelt in blanken Erinnerungen, die ihrerseits und zu ihrer Zeit schon nichts Anderes als blanke Erinnerungen waren. Überlieferung aus erster Hand kenne ich nicht, und ich kann noch nicht einmal behaupten, dass ich irgendeine gern kennengelernt hätte oder kennenlernen möchte, was im Umkehrschluss heißt, dass ich Tradition nicht wirklich vermisse. Aber ich versuche immer wieder, wenn auch erfolglos, aus Versatzstücken der Vergangenheit so etwas wie eigene Traditionen zu zimmern (und widerspreche mir damit selbst). Das sind aber keine, ich kann mich ins Zeug legen, wie ich will. Es fehlt ihnen vor allem eins: gelebte Zeit.

Ob (ein) Gott den Menschen geschaffen hat oder die Evolution, ist aus Gründen des Initiums völlig unerheblich. Er, der Anfang, bleibt im Dunkel verborgen (und sollte es je gelingen, Licht in dieses Dunkel zu bringen, wird man von einem Anfang nicht sprechen können).

Familie ist Fluch und Segen in Einem, das Single-Dasein auch.

Die Annahme, eine Gesellschaft könnte ohne familiären Bezug existieren, scheint mit etwas weltfremd zu sein, die Forderung, Politik (als vermittelnde Gestalterin gesellschaftlicher Verhältnisse) dürfe keinen familiären Charakter annehmen, sehr realitätsnah.

Für einen kurzen Moment ein zart-rötlicher Schimmer im Nebelgrau des spätherbstlichen Morgens. Als ob ganz fern ein Feuer glimmte und einen letzten (oder ersten?) Schein verbreitete.

Die hybride Annahme, Alles sei möglich und machbar, führt unweigerlich zu der Frage: für wen und aus welchem Motiv.

Nur noch selten hatte er seine Wohnung verlassen. Im Halbdämmer war er gesessen zwischen den in die Jahre gekommenen Möbelstücken, tag- und nachtgrübelnd damit befasst, Vergangenheit und Gegenwart zu sortieren. Nicht, dass er seine Wohnung nicht hätte verlassen können. Rüstig genug wäre er gewesen. Aber da war kein Interesse mehr an der Welt da Draußen, ein Außerhalb unvorstellbar. Ab und zu allerdings war er noch ans Fenster getreten, einer alten Gewohnheit folgend, und hatte ohne besondere Anteilnahme einen Blick hinaus auf das lärmige Hin und Her der Passanten geworfen.

Das Zusammenleben mit der großen Liebe kann in einer großen Enttäuschung enden. Manchmal aber auch wird die Liebe im (aufmerksamen) Zusammenleben erst groß.

Die Metapher des Schwimmens. Selbst wenn Wasser mein Element wäre, und es ist mein Element, würde ich mich nicht endlos auf und in ihm (auf)halten können. Irgendwann verließen mich die Kräfte und ich benötigte festen Boden unter mir.

Einer schreibt über sein Schreiben, er habe den Eindruck, dass er zu viele Worte verliere, weil ihm die wenigen richtigen fehlten; dabei wüsste er noch nicht einmal, welche das sein könnten.

Teetrinker sind doch die feineren Menschen, zumindest verfügen sie im Vergleich mit der kaffeetrinkenden Spezies über den feineren Geschmack (sonst würden sie ja keinen Tee trinken).

Irgendwann war ihm sein Liebling lästig geworden (warum auch immer). Da hat Gott ihn einfach rausgeschmissen. Man kennt das ja: Zu Beginn das Traumpaar, am Ende das unabwendbare Zerwürfnis. Und um den Konflikt etwas abzumildern, überließ Gott ihm die Erde und alles unter ihr Liegende, obwohl ihm klar hätte sein müssen, dass das ihren Ruin bedeutete. Aber was ist schon ein Planet unter Milliarden und Abermilliarden.

Das große Rätsel! Wie hat (ein?) Gott etwas so Unvollkommenes schaffen können, wie den Menschen (angeblich auch noch sein Ebenbild).

Der gottlose Mensch kann tun und lassen, was er will. Früher hat er mehr getan, heute sollte er mehr lassen.

Im Prozess des Urteilens geht es um Andere(s). Selbst wenn es um die eigene Person geht, ist das so. Man stellt sich (in Sinn der Eigenbeurteilung) als einen Anderen vor sich hin. Man ist sich selbst ein Gegenüber. Eine nützliche Übung übrigens. Soll die Selbsterkenntnis fördern.

Seit er kein gesteigertes Interesse mehr an sich habe, gehe es ihm deutlich besser. Mit interesselosem Wohlgefallen nehme er wahr, wie er aufblühe.