Jan 2022

Er ist abends immer schrecklich müde. Er liegt dann ausgestreckt auf dem Sofa und döst vor sich hin oder in irgendeine Fernsehsendung hinein. Das kann sie kaum aushalten, dass er da so liegt und stiert, dass man überhaupt so liegen kann, so schwer, so belastet. Unvorstellbar in diesem Moment, dass ihn jemals wieder etwas aus diesem Liegen hochbringen könnte. Ihn in diesem Zustand anzusprechen, sich ihm mitzuteilen, unmöglich. Dabei hätte sie so einiges auf dem Herzen, alles, was so vorgeht in ihr, worüber sie sich den lieben langen Tag Gedanken macht und ab und an Sorgen. Aber damit braucht sie ihm jetzt nicht zu kommen. Jetzt nicht. Aber wann sonst?

Wenn längst vergangen Gewähntes, programmatisch Überholtes, auftritt, jetzt, an unpassendster Stelle, und die Regie übernehmen will, und niemand aufzufallen
scheint, wie verkehrt das ist.

Wir leben schon lang nicht mehr freiblickend (sofern wir überhaupt je frei im Blick gewesen sind). Nicht mehr unbeeindruckt gehen wir vor die Tür. Statt dessen trachten wir nach Entsprechungen für das, was uns vorher, fern aller Realität, aber perfekt realitätsbezogen, auf irgendeine mediale Weise beeindruckt hat. Der frische, weil frühe, Blick, der in die Welt schaut, als sähe er sie zum ersten Mal, wird uns streitig gemacht, gründlich und täglich. Sollte er uns abhanden kommen, wird er uns so schnell nicht wiederfinden.

Saß seine Mutter da, völlig erschöpft von der Arbeit, erschien ihm ihr Dasitzen immer wie ein stiller Vorwurf. Er hätte sich unmöglich zu ihr setzen können, etwa, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Er wäre am liebsten woanders gewesen, nur um sie nicht sehen zu müssen.

Auf Höhe der Zeit. Man spürt mit stolz geschwellter Brust, dass der eigene Erneuerungsdrang dem allgemeinen Innovationsdrängen der Gegenwart voll und ganz entspricht. Und man erkennt, etwas später vielleicht, dass man sich diese Fähigkeit (auf Höhe der Zeit zu sein) nicht ewig wird erhalten können.

Meine Progressivität ist von gestern. Eine Neue, eine, die auch übermorgen noch progressiv wäre, ist nicht in Sicht.

Übungseinheiten sind kurz zu halten. Auf ausreichend Pausen ist zu achten. Entscheidendes kommt zustande, manchmal schlagartig, wie aus heiterem Himmel. Für den ist immer zu sorgen.

Man kann doch heute nicht (mehr) malen (oder komponieren) wie vor fünfhundert Jahren. Und warum nicht? Was wäre verwerflich daran?

Außerplanmäßig geht bei mir gar nichts, planmäßig auch nicht. Also was geht überhaupt?

Man sollte als Kunstschaffende/r nicht mehr erwarten (von Szene und Kritik), wie sonst auch im Leben, nämlich so gut wie nichts.

Sehr zu meinem Verdruss sehe ich mich mehr beschäftigt
mit dem, was ich nicht kann, als mit dem, was ich kann. Ich sollte mein Beschäftigungsverhalten dringend ändern.

Aktuell benötigen Kulturwillige für den Besuch eines Museums in Köln ”nur” ein 2G-Profil, in Berlin dagegen ein 2G Plus-Profil, was sicherlich daran liegt, dass die kulturwilligen Museumsbesucher in Berlin, selbst wenn sie aus Köln kommen, wesentlich ansteckender sind, als die kulturwilligen Museumsbesucher in Köln, selbst wenn sie aus Berlin kommen. Vermutlich aber sind die Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz nur weniger gut belüftet als die vergleichbaren Museen in Köln.

Das Meiste ist ja nichts Genaues. Allerhand Vermutungen, wenn auch berechtigte. Aber damit kommt man nicht weit. Beweise muss man haben, und man könnte sie haben, aber man schaut nicht hin, oder nicht scharf genug. Denn dann könnte man, sollte man, müsste man, usw.

Was zu beweisen wäre? Das Allermeiste, im Leben sowieso, mal abgesehen vom Mensch, der nicht wegzudiskutieren ist, also auch keines Beweises bedarf, höchstens einer Uminterpretation oder Neubestimmung, oder was auch immer. Aber vielleicht existieren auch Meinungen, der Mensch habe sich bitte schön unter Beweis zu stellen (was er unübersehbar und mittlerweile unvorteilhafter Weise von Anfang an getan hat).

Die Welt tönt, leider auch falsch. Aber wie würde sie richtig tönen? Das hängt ganz von der Stimmung ab.

Man ist angekündigt, ganz offiziell. Man meldet sich pünktlich zum vereinbarten Zeitpunkt, aber die Person am Hörer weiß von nichts, will anscheinend auch von nichts wissen. Sie fühlt sich - das ist deutlich zu spüren - in einer sehr wichtigen Angelegenheit gestört. Also insistiert man, man muss insistieren, denn man ist in wichtiger, keinen Aufschub duldender Mission unterwegs. Die Person am anderen Ende ärgert das außerordentlich, aber jetzt kann sie nicht mehr anders, jetzt muss sie nachfragen an fachkundigerer Stelle. Nach einiger Zeit dann, herablassend, fast gelangweilt: ja, man könne kommen. Das Produkt läge zur Abholung bereit. Kein Wort des Bedauerns, gar der Entschuldigung, ob des unhöflichen Gebarens. Man beendet das Gespräch mit dem unguten Gefühl, gerade eine lästige, unbedeutende Person gewesen zu sein (mit einem lästigen, gleichwohl bedeutenden, man könnte auch sagen lebensrettenden Anliegen), der man aus purer Großzügigkeit einen kleinen Gefallen getan hat.

Nur von anderen kann ich vorbehaltlos hingerissen sein, von mir nicht. Da bin ich höchstens hin- und hergerissen, mit besonderer Betonung auf her.

Man müsste es schaffen, jegliche gestalterische Aktion ganz und gar unbeteiligt zu absolvieren, als ob man nichts mit ihr zu tun hätte. Das geht natürlich nicht. Also versucht man den eigenen Willen, soweit möglich, im Zaum zu halten, was schon schwierig genug ist. Künstlerisch ohne Bedeutung bedeutend zu sein, wäre wohl die (unerreichbare) Krönung.

Alles, was sich zeigt, hat Bedeutung.

Die anderen haben Laster, ich hab’ viele.

Des Deutschen Regelungszwang und Kontrollwahn. Und es finden sich immer willige und systemkonforme Helfer.

Ein Rechtsstaat muss nicht (immer) Recht haben, kann also (paradoxerweise) Unrecht bewirken.

Seit er keinen Besuch mehr empfängt (weil er verordneter Weise keinen Besuch mehr empfangen darf), ist niemand (mehr) da, dem er seine Aufmerksamkeit schenken könnte. Jetzt richtet sich die Aufmerksamkeit auf ihn selbst, was sehr ungewohnt ist, mitunter unangenehm.

Ich vermute, dass sich das Arbeiten bis ins hohe Alter hinein einer lang geübten, unentgeltlichen wie von äußeren Einflüssen unabhängigen Arbeitspraxis verdankt.

Wenn einer Pinselstriche von links nach rechts und von rechts nach links schiebt und darauf wartet, dass ihm das Geschiebe etwas sagt.

Die Zeit ist mir immer einen Schritt voraus. Auch heute wird es mir schätzungsweise nicht gelingen sie einzuholen, aber vielleicht übermorgen.

Die Verhältnisse, die immer so sind, dass man eigentlich sagen müsste: die Verhältnisse dürften so nicht sein.

Es ist nicht recht, dass … Geflügeltes Wort der Zeit und vermutlich aller Zeiten.

Mit dem Winter beginnt der Frühling. Selbst in unseren Breiten kennt die Natur die ein oder andere Pflanze, die das weiß.

Habe ich meinen ”Moralischen”, wandert so einiges auf den Prüfstein, nur das ”Moralische” nicht. Das ändere ich jetzt. In Zukunft wird immer und zuallererst das ”Moralische” einer Prüfung unterzogen.

Woran ich erkenne, dass das Weißbrot, das ich gerade verzehre, von minderer Qualität ist? Meine Nase fängt an zu laufen und es kratzt im Hals (wie wenn ich Scharfes gegessen hätte). Davon abgesehen schmeckt das Brot nach Pappe und ist von krümeliger Beschaffenheit, was auf den Einsatz von Tiefkühltechnik hindeutet. Mit ernstzunehmender Backkultur hat das wenig zu tun. Aber ich weiß: wer will heutzutage noch Bäcker werden?

Wenn sich eine über den Zwang der Verhältnisse beklagt, aber sich so verhält, als ob es diesen Zwang gar nicht gäbe.

Es wird spürbar früher hell, selbst an trüben Tagen und bei trüben Aussichten.

Manches kann man einfach nicht tun. Man weiß, dass die anderen es nicht verstehen würden. Also lässt man es. Vielleicht ist man nicht mutig, vielleicht auch nur nicht rücksichtslos genug. Vielleicht auch hat man ein wenig Verständnis für die eingeschränkte Auffassungsgabe und mäßige Toleranz der anderen.

Ich lernte problemlos schwimmen. Angst vor dem Wasser hatte ich nie. Freischwimmer, Fahrtenschwimmer, Leistungsschwimmer. Die kleinen Abzeichen dazu, die die Mutter unbedingt an die Badehose nähen musste, damit sie auch jeder sehen konnte. Nicht schlecht, sich im Wasser bewegen und halten zu können. Irgendwie aber war es unterhalb der Wasseroberfläche interessanter. Schwimmen war hilfreich, durchaus von Nutzen, Tauchen aber war abenteuerlich, eine Art Mutprobe. Leider hielt ich anfänglich nur kurze Zeit durch. Viel zu früh musste ich aufsteigen um durchzuatmen. Irgendwo hatte ich gehört oder gelesen, dass Tieftaucher, die, die ohne Atemgerät 90 oder 100 Meter (und heute vermutlich noch mehr) in die Tiefe tauchen, vor dem Tauchgang minutenlang tief in die Lungen atmen (sogenanntes Hyperventillieren). So bevorrateten sie ihr Blut mit Sauerstoff, ausreichend für ihren bevorstehenden Tauchgang. Das machte ich mir im Kleinen zu eigen. Bevor ich tauchen wollte, stand ich eine Weile am Beckenrand und atmete gleichmäßig und tief durch. Erst dann tauchte ich ab. So gelang es mir nach und nach, meine Tauchgänge zeitlich auszudehnen. Im örtlichen Freibad gab es ein Becken mit fünfzig Meter Länge. Die wollte ich abtauchen, der Länge nach. Irgendwann, nach etlichen gescheiterten Versuchen, kam die entgegengesetzte Beckenwand in Sicht. Aber jedes Mal bevor ich sie erreichte, ging mir die Puste aus und ich musste luftnötig auftauchen. Eines Tages dann war es soweit: Meine Finger berührten die Wand, irgendwie kam ich nach oben, halb ohnmächtig, und schnappte nach Luft wie ein erstickender Karpfen. Ich hatte es geschafft, ich hatte mein Ziel erreicht: fünfzig Meter weit tauchen, ohne Luft zu holen.

Der Kaffee ist merklich dünner geworden. Wir trinken jetzt Muckefuck, der unterbrochenen Lieferketten wegen, und weil es gesünder ist.

Einer spürt, dass er sein Arbeitspensum nicht mehr bewältigen kann. Er kommt beim besten Willen nicht mehr hinterher. Abends ist er vollkommen erschöpft. Dabei ist er noch gar nicht so alt. Auch krank fühlt er sich nicht. An zusätzliche Herausforderungen zu denken, eine Unmöglichkeit.

Sehen kann ich sie nicht. Aber ich spüre sie, ganz deutlich, als ob sie mir über die Schulter gucken und etwas zuflüstern würden. Vermutlich handelt es sich um meine Vorfahren, die sich Sorgen um mich machen. Sie fühlen sich verantwortlich, seit Ewigkeiten. Klar, sie wollen ja, dass aus ihrem Sproß etwas wird. Irgendwie mag ich sie ja, jedenfalls einige. Darum verhalte ich mich ihnen gegenüber auch meist aufmerksam und zuvorkommend, im Sinne von: gut, euch gibt es auch, wollen wir mal sehen … Manchmal sind sie mir lästig, das muss ich zugeben, wie einem allzu besorgte Eltern auf den Keks gehen können. Dann sage ich: ”Hört mal, Leute, Verantwortung hin oder her, das Leben nimmt seinen Lauf. Macht euch mal locker.” Dann sind sie beleidigt und lassen mich eine Weile in Ruhe. Manchmal auch lass ich sie erzählen. Das kann ganz unterhaltsam sein, mitunter sogar spannend. Und dann denke ich: zu der Sippe werde ich auch einmal gehören und meinen Kindern ...

Immer noch kann man bei uns etwas Besseres werden (und das ist gewiss keine Errungenschaft konservativer Kreise). Dass man allerdings etwas Besseres werden muss, ist ein Missverständnis.

Natürlich kann man nicht ständig über Tiefsinniges reden. Aber dieses ununterbrochene Geplapper, dieses anhaltende Welt- und Web-Blabla, das einen auf wichtig macht, aber nichts anderes ist als auf Hochglanz polierte Oberfläche.

Dass ich auf Distanz gehe zu anderen und zu mir selbst, darüber muss ich mir keine Sorgen machen und schon gar nicht schämen, solange ich nicht den Kontakt verliere. Bei Männern ist das halt so. Deshalb haben sie auch das starke Geschlecht nötig.

”Haben wir uns (noch) etwas zu sagen, hatten wir das je, nur, weil wir Brüder sind, oder gerade weil”, frage ich ihn. ”Das hängt davon ab”, antwortet er ausweichend. ”Wovon”, hake ich nach. ”Ob es gelingt, ein Leben lang Aufmerksamkeitswillen für einander aufzubringen, von Zuneigung ganz zu schweigen.” ”Na, das ist doch mal eine geschmeidige Antwort”, sage ich, ”worauf warten wir noch.”

Auch als unbeschriebenes Blatt ist man nicht grundlos. Es findet sich immer ein Grund, auf dem man zum Liegen kommen kann.

Er kennt seine Auftraggeber nicht. Ihre Aufträge erhält er anonym. Sie kommen per Post (das ist sicherer heutzutage). Ein unscheinbares Kuvert aus Recyclingpapier mit transparentem Adressfeld. Könnte irgendwas Amtliches sein. Darin ein Blatt mit Ortsangabe, Datum und dem Foto. Für ein paar Tage ist er dann weg. Bei seiner zurückgezogenen Lebensweise fällt das nicht weiter auf. Bislang ist noch nie etwas schief gelaufen, abgesehen von Unregelmäßigkeiten im Zug- und Flugverkehr. Bevor irgendetwas ans Licht kommen kann, ist er immer schon wieder zu Hause. Niemand, sieht man mal von seinen Auftraggebern ab, weiß von seiner heiklen Nebentätigkeit. Behördlicherseits tappt man im Dunkeln. Das wissen seine Auftraggeber sehr zu schätzen und das soll auch so bleiben.

Aus einem bestimmten Blickwinkel heraus könnte ich sagen, dass ich meine Texte male, bzw. meine Bilder schreibe. Das Verbindende, vielleicht sogar Austauschbare, liegt in der Korrektur. Dabei wird so gut wie immer das (gemalte) Geschriebene, bzw. das (geschriebene) Gemalte etwas (mehr oder weniger) anderes, als ursprünglich gedacht. Korrektur ist nicht irgendeine Äußerlichkeit um der schönen Form willen (wobei, warum auch nicht), nein, sie gehört, Form und Inhalt bestimmend, zum expressiven Entwicklungsgeschehen dazu.

Wie wäre dieser Satz? Ich korrigiere, also bin ich.

Als ich mir noch musikalische Avancen leistete, dachte ich ausschließlich in Dur und Moll.

Mit sich allein verdient man kein Geld. Das Geld, das man verdient, kommt immer von den anderen. Aus diesem Grund ist Geldverdienen eine durchaus bedenkenswerte und verantwortungsvolle Tätigkeit.

Wie schwer man sein kann, spürt man morgens beim Verlassen des Nachtlagers.

Produkterkenntnis und der durch Werbung verursachte Nebel.

Wenn man nicht mehr sagt, was man eigentlich sagen will, weil man über Gebühr damit beschäftigt ist zu überlegen, ob das, was man sagen will, auch in verschiedenster Hinsicht korrekt und unmissverständlich ist (unterliegt man, ob man will oder nicht, beginnender Selbstzensur).

Zukunftsgläser möchte ich in mein Brillengestell einsetzen. Frei sehen will ich durch sie aus einer Zone heraus des Nochnicht (aber möglicherweise bald). Statt dessen schaue ich mit meiner antiquierten Sehhilfe in die Welt und sehe nur Gewordenes.

Abschiede gehören zum Leben. Es gibt Große und Kleine. Man lernt sie kennen im Lauf der Zeit, im Rahmen der eigenen Biografie. Irgendwann ist man Routinier in Sachen Abschied, vielleicht sogar Experte. Abgesehen vom allerletzten Abschied. Der kennt keine Routine und kein Expertentum, zumindest nicht für den, der Abschied nimmt.

Der Mensch ist nach wie vor menschlich, zu menschlich, sprich: fehlerbehaftet, was seine Fehlhandlungen anbetrifft uneinsichtig und noch dazu unberechenbar, und das ungefähr von Anbeginn. Eine unvollkommene Kreatur also, die man nicht einfach endlos weiterwursteln lassen kann. Das ist der Schöpfung gegenüber nicht länger zu verantworten. Höchste Zeit für eine wissenschaftlich fundierte Menschheitsrevision, mit besonderer Betonung der Vision, einer menschlichen, keiner göttlichen (denn man sieht ja, wohin die geführt hat), umfassend und uneingeschränkt, und offiziell, damit auch jeder weiß, worum es geht und was auf dem Spiel steht.

Ich schaue meinem Körper zu (da gibt es ja einiges zu sehen im Lauf eines Tages) und denke mir: was hab’ ich mit dir bloß zu schaffen? Das kann ich dir flüstern, antwortet der und ein stechender Schmerz durchzuckt meine rechte Seite.

Dass es mir partout nicht gelingen will etwas zu lernen, etwas so zu lernen, dass ich es einwandfrei wiedergeben kann. Dazu habe ich überhaupt keine Lust und auch keine Neigung. Das hat mir meine ganze Schulzeit verleidet und mein restliches Leben dazu. Nicht eigentlich Schulverweigerer, nein, Lernverweigerer bin ich (geblieben).

An der eigenen Herabsetzung arbeiten, wie ein Bildhauer am Stein. Solange meißeln, bis nichts mehr übrig ist, außer einer verlorenen Form.

Bildet er sich das nur ein, dass ihn die anderen meiden, gar ablehnen? Fakt ist, er gehört nicht dazu. Oder will er am Ende gar nicht dazugehören? Oder will er anderswo dazugehören, dort, wo er wirklich hingehört und dazu passt? Aber wo wäre das? Gibt es dieses Anderswo überhaupt? Bislang jedenfalls nicht.

Ich zum Beispiel fühle mich voll und ganz mir selbst zugehörig (ich bin quasi mein eigener Fan). Da habe ich eine ganze Menge zu tun, vollauf genug. Okay, ein paar kleine, außer mir selbst liegende Zugehörigkeiten gibt es schon, aber die tun hier nichts zur Sache.

Andere leisten sich teure Autos, er sich kostspielige Instrumente. Jede instrumentale Preziose, die er sich anschafft, stellt die ultimativ richtige dar. Er sagt dann immer, jetzt hätte er sein Instrument gefunden (und das Instrument ihn). Aber noch keines ist je seins geworden. Nach einiger Zeit vergeblicher wie stümperhafter Spielversuche ist es noch immer im Keller gelandet. Dort lagern seine Instrumentalleichen, allesamt teure Zeugen seiner musikalisch-instrumentalen Vergehen.

Ich richte mein eigenes Verhalten gern am Verhalten anderer aus. Mich selbst zu verhalten, würde ja bedeuten, ein Verhältnis mit mir selbst anzufangen. In meinem Dazugehörigkeitsdrang wäre das wie Fremdgehen.

Zugehörigkeit, Leben erleichternd wie Unabhängigkeit erschwerend, Stabilität und Untiefe in einem.

Der Verständnisinnige. Eine seiner meist gespielten Rollen. Die Lebensrolle schlechthin. Vermutlich anlagebedingt, deshalb so überzeugend. Jedermann schüttet ihm vertrauensvoll sein Herz aus. Niemand merkt, dass ihn das, was ihm da intimer Weise erzählt wird, in aussichtsloser Lage mitunter, gar nicht interessiert, dass er nur so tut, als würde ihn das interessieren. Alle sind ihm zutiefst dankbar für seine verständnisinnige Zuwendung und er lässt sie in dem Glauben. Das ist er seiner Rolle schuldig.

Das Alter und die Jugend. Dazwischen man selbst in den besten Jahren. Aber man irrt, wenn man meint, die besten Jahre seien die, welche von Jugend nichts mehr wüssten und vom Alter noch nichts.

Sie nimmt nun endgültig Abstand vom ”Vollen Programm”, sagt sie. Fünfzig Prozent, wenn überhaupt, reichen ihr. In ihrem Job leistet sie damit immer noch Hundertprozent. Mehr darf nicht sein. Das bringt sie sonst um. Aber wen interessiert das schon? Ob sie oder jemand anders, das spielt doch keine Rolle. Am besten gar kein Programm. Von Programmen hat sie die Nase voll. Irgendwie muss sie es bis zur Rente schaffen, ohne finanzielle Einbußen und ohne all zu viel Federn zu lassen.

Leistungsgrenzen als individuelle Eckmarken außerordentlicher Leistungsbereitschaft.

Nichts ist so schwierig, wie eine Künstlerin zu loben
(für einen Künstler gilt das Gleiche). Schenkt man ihr Anerkennung, wird sie misstrauisch, schenkt man ihr keine, ist sie beleidigt. Und immer muss die Anerkennung gekoppelt sein an eine ernstzunehmende Kaufabsicht. Eine Anerkennung ohne Ankauf ist unglaubhaft.

Guten Tag, ich habe einen Termin bei ihnen, in der Abteilung für selig machende Ein- und Aussichten. Leider habe ich Zeit, Ort und Ansprechpartner der Verabredung vergessen. Können sie mir da vielleicht weiterhelfen?
Oh, das tut mir leid, da muss ich sie enttäuschen, eine solche Abteilung existiert bei uns nicht, und ich wüsste auch nicht wo. Aber vielleicht kann ihnen das Büro für innere Angelegenheiten einen Tipp geben. Die besitzen die Berechtigung für Nachfragen an höchster Stelle.

Der Mensch, ein Weltbastler mit kosmischen Ambitionen, ein Freund ungehemmten, leider baufälligkeitsbehafteten Modellbaus, obwohl formal immer korrekt. Manchmal etwas Grandioses, gern mit grandiosen Folgen. Dass er es überhaupt so weit gebracht hat? Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig.

Ästhetische Aussagen sind immer richtig, so falsch sie auch sein mögen, das liegt am Geschmack, dem guten wie dem schlechten.

Wer erkennt, dem stellen sich Fragen.

Eine Vergangenheit kann man sich nicht selbst geben (auch wenn man an ihrer Entstehung mitwirkt). Vergangenheit schafft sich, wie Zukunft auch (aus Vergangenheit).

Irgendwann ließ er ab davon, sich in die Gegenwart zu flüchten, zum einen, weil er sie nicht fand, zum anderen, weil er erkennen musste, dass er weder der (seiner) Vergangenheit, noch der (seiner) Zukunft entkommen konnte, außer er hatte sie gegenwärtig.

Wenn ein Geburtstag auf Tag, Monat und Jahr genau nur aus zwei Ziffern sich zusammensetzt, und diese geburtstägliche Ziffernkonstellation im eigenen Leben genau vier Mal - und nicht einmal mehr - vorkommt (vorkommen kann).

Der einzige Ehrgeiz, den er besitzt, seinem Ehrgeiz nicht die geringste Chance zu geben (lassen), sich auf irgendein Verwirklichungsgebiet zu richten. Ganz ohne Ehrgeiz ist er also nicht.

Mal hatte ich die Schienen gänzlich aus den Augen verloren, als ob es auf der Fläche vor mir
überhaupt keine Schienen gäbe, noch nie gegeben hätte, dann wieder waren sie überschwemmt und kaum zu erkennen unter den bräunlichen Wassermassen, die der Zug durchpflügte, auch im Boden verschwanden sie ab und an, im Erdreich, zwischen Asphaltrissen und antiquierten Pflastersteinen dahin, und dann wieder saßen sie niet- und nagelfest auf einem ordentlichen Gleisbett und ließen den Zug ins Weite rasen.

Dass die Kraft nicht mehr zurückkommt, nie mehr, dass sie ab jetzt nur noch schwinden kann. Eine Weile noch hilft der Wille, aber irgendwann erlahmt auch der.

Über die Gegenwart hinausdenken. Man müsste sich einfach zutrauen, auch entgegen aktuell wissenschaftlicher Meinung, ohne Maske durchs Leben kommen zu können, wie man auch bisher ohne Maske durchs Leben gekommen ist und in Zukunft kommen wird.

Ich habe mir eine neue Aufgabe gestellt, in eigener Sache sozusagen. Ich arbeite jetzt an den Zeitpunkten, vornehmlich den rechten. Mit denen will ich in Zukunft nichts mehr zu tun haben. Man könnte auch sagen, ich stelle sie, die rechten Zeitpunkte, in den Mittelpunkt meiner Unaufmerksamkeit. Freiheit vom rechten Zeitpunkt, das habe ich mir auf die Fahne geschrieben. Den letzten Rechten sollte ich allerdings nicht versäumen, aber der wird mich, selbst wenn ich ihn vergessen sollte, ganz sicher nicht im Stich lassen.

Meine Themen sind von eher nebensächlicher Natur, noch dazu schneide ich sie meist zum falschen Zeitpunkt an. Dann fehlt sogar denjenigen, die möglicherweise mitreden könnten, jegliche Motivation zum Austausch, von Verständnis ganz zu schweigen. Ich merke das immer erst hinterher, wenn es zu spät ist. Vorher bin ich so eingenommen von dem, was ich sagen will (zu sagen zu haben vermeine), dass ich gar nicht auf die Idee komme, andere könnten meine Themen nicht interessieren.

Als ich mein Kindsein verlor. Mir wurde schlagartig bewusst, dass das mir bis zu diesem Zeitpunkt vollkommen Selbstverständliche (von dem ich bis dato vertrauensvoll annahm, es sei für die Erwachsenen genauso selbstverständlich) für die Erwachsenen in keiner Weise selbstverständlich war. Ab diesem Moment muss ich wohl erwachsen geworden sein, schleichend (wie man einer chronischen Krankheit zum Opfer fällt), eben nach und nach, über Jahre hinweg, eigentlich bis heute anhaltend.

Einer hat sich sein Kindsein bewahrt. Noch für aus der Perspektive Erwachsener Unscheinbarstes kann er sich (nach wie vor) fantasievoll begeistern. Seine Umgebung schüttelt den Kopf über diesen Kindskopf.

Entweder bin ich verrückt oder die anderen. Da ich aber vollkommen klar bin im Kopf, nach wie vor, müssen es wohl die anderen sein.

Sag’ mal einem Verrückten, er sei verrückt. Ich doch nicht, wird er antworten.

Die Aufgabe der Interpretation: etwas Gegebenem einen unvergleichlichen Ausdruck verleihen.

Schön zu wissen, dass es in Boston ungefähr zur gleichen Zeit Frühling wird wie hier. Man ist sich auf Breitengraden halt doch näher als auf Längengraden.

Eigentlich willst du das nicht, nicht, weil du nicht könntest, sondern weil du dem Projekt nichts abgewinnen kannst, es dir im Grunde genommen sinnlos erscheint. Aber dann machst du trotzdem mit, weil du existentielle Nachteile für dich befürchtest und der Meinung bist, nur wenn du Teil des Projekts bist, also dazugehörst, koste es, was es wolle, kann dir nichts passieren.

Modern ist man, wenn man am Fortschritt teil hat und teilhaben kann, und modern will ich sein, keine Frage. Aber ich habe Probleme mit dem Fortschreiten. Zum einen weiß ich nicht wohin, zum anderen merke ich, dass ich in absehbarer Zeit nicht mehr werde Schritt halten können, mit wem und mit was auch immer.

Ich habe ein Tätigkeitsdefizit. Dabei bin ich alles andere als unterbeschäftigt. Aber mich beschäftigt zu viel Nebensächliches. Ich würde mich lieber mit Hauptsächlichem beschäftigen. Das müsste etwas sein, so weit bin ich schon, dass ich das so sagen kann, dem gegenüber ich auf gar keinen Fall von Beschäftigung reden könnte.

Der Schneeräumdienst kommt auch immer später. Für jemand der um sechs Uhr aus dem Haus muss, kommt er allemal zu spät. Ich frage mich, warum er heute überhaupt unterwegs ist. Es hat doch kaum geschneit.

Seit er pensioniert ist, genießt er endlich das erlösende Gefühl, da angekommen zu sein, wo er schon als Kind (immer) sein wollte: in Freiheit. Das zeigt er natürlich niemandem, sonst würde noch ein Freiheitsheld aus ihm, ein pensionierter, und dann wäre es mit der Freiheit ganz schnell vorbei.

Das Verbotene ist immer ein Verbotenes, weil andere sagen, dass es ein Verbotenes ist. Nur das, was man sich ganz aus sich selbst heraus verbietet, ist ein ernstzunehmendes Verbot. Aber vielleicht ist auch dies Verbotene nichts anderes als ein normatives Relikt aus autoritären Kindertagen, an das man sich nur nicht mehr erinnert.

Man müsste sich ohne viel Aufhebens aufheben können, mit viel Geduld und Durchhaltewillen. Aber wenn das große Ereignis, für das man sich aufhebt (aufgehoben hat) dann nicht eintritt? Man hätte sich aufgehoben, ganz umsonst, unter Umständen ein Leben lang.

Ein lieber Freund schrieb mir zu Weihnachten in ein paar schönen Zeilen etwas über den ”zweiten Blick”, im Sinne von Vertiefung und Intensivierung eigenen Erlebens. Dies aufgreifend würde ich von einem dritten Blick sprechen wollen, einem vierten gar, eigentlich von schauendem Wiederholen, bzw. wiederholendem Schauen. Aber vermutlich ”gehen mir da die Gäule durch”, sprich, handelt es sich hierbei um eine Überforderung. Und doch wäre es ein seelischer Gewinn.

Woran bemisst sich Erziehung? Eine nicht gar so unbedeutende Frage. Einzig, dass es Erziehung braucht, ist unstrittig, mittlerweile. Oder gibt es diesbezüglich noch offene Fragen?

Jeden Tag steht Leben auf des Messers Schneide, aber geschnitten wird anderswo.

Langsam, aber sicher wird spürbar, dass da etwas faul ist. Es wird mehr geahnt, als dass es gewusst wird. Eigentlich wird es, das Faule, (gar) nicht gewusst, aber gespürt schon, irgendwie. Leider existieren weder Belege für, noch gegen das Faule. Eindeutige Beweise aber wären erforderlich, wenigstens einer, das würde reichen.

Reisen ist weder sinnvoll, noch sinnlos. Es ist eine äussere Bewegungsmöglichkeit, mitunter innerlich bewegender Art, für diejenigen, die es sich leisten können, in gut situierten Gesellschaften also für fast alle.

Mein Gott, die vielen Alten unterwegs, und die Jungen, und die Mittelalten oder Mitteljungen, und ich bin auch schon alt und unterwegs.

Denkt er zurück, so kann er nicht umhin festzustellen, dass er schon in der Schule ein Leistungsverweigerer war (so nannte das der Schulpsychologe). Er war das weniger, und eigentlich gar nicht, aus politischen Gründen, als Kind sowieso nicht, verständlicherweise, und später auch nicht, sondern weil er schon damals, wenn auch diffus, etwas gegen Mehrheiten hatte. Mehrheiten waren ihm gelinde gesagt unangenehm. Die Mehrheit konnte doch unmöglich Recht haben, dachte er immer. Die Mehrheit damals in der Schule jedenfalls war leistungsbereit gewesen. Also blieb ihm gar nichts anderes übrig, als gegen Leistungsbereitschaft, das heißt Leistungsverweigerer zu sein. Er misstraut Mehrheiten bis heute, aber manchmal kommen ihm Zweifel. Vielleicht hat die Mehrheit ja doch Recht, zumindest ein wenig. Und dann erschrickt er über diesen selbstvernichtenden Gedanken.

Dass man sich in der Deutschen Bahn seitens der Deutschen Bahn ausdrücklich dafür bedankt, dass man mit ihr fährt (besser gesagt: gefahren ist, denn das ”thank you for travelling with Deutsche Bahn” oder „thank you for choosing Deutsche Bahn” richtet sich an die, die aussteigen, ihre Fahrt mit der Bahn also beenden), ist so nett wie kurios. Es gibt ja nur die eine (abgesehen von einigen Privatbahnen, auf deren Strecken dann aber die DB nicht fährt). Mit welcher anderen Bahn sollte man denn bitteschön sonst fahren können, dass die Fahrt mit dieser hier dem Danke einen Sinn verliehe.

Ich denke mir, es muss doch anstrengend sein, wenn man viel zu sagen hat. Also mich würde das sehr beanspruchen. Aber neulich machte mich jemand darauf aufmerksam, dass es Menschen gäbe, bei denen es genau umgekehrt wäre. Die würde es anstrengen, nichts zu sagen zu haben. Schweigen triebe die in den Wahnsinn.

Das unüberhörbare Anspringen der Heizung im Keller. Siebeneinhalb bis acht Monate im Jahr diese Brennerleistung, sobald die Heiztemperatur den voreingestellten Temperaturwert unterschreitet, wieder neu zu starten mit gleichbleibend vernehmbarem Geräusch.