Jul 2022

Die Optimierungsgrenze ist dann erreicht, wenn eine in Aussicht stehende Vollendung dem Zustand der Unvollendetheit unterliegen würde.

Was manchmal Vernunft genannt wird, ist nichts anderes als umtriebiges Wollen, dem seine (An) Triebe schleierhaft sind.

Lieber eine unvollendete Demokratie, als eine vollendete Diktatur.

Man kann den Staat mit einer ins Große projektierten einzelnen Haushaltung vergleichen. Und wie sich Haushaltungen voneinander unterscheiden, so auch Staatsgebilde.

Nicht dass man Interessen hat, bedeutet Freiheit, sondern Freiheit bedingt, dass man seinen Interessen in angemessener Weise nachgehen kann.

Liebe ist verlustbehaftet. Da steckt das Wort Lust drin. Und man tut viel (manchmal zu viel), ohne dass der Verlust aufzuhalten wäre.

Individualismus trägt Einsamkeit hinter sich her wie einen Trauerflor.

Zufriedenheit enthält den Begriff Frieden. Ein Zustand jenseits von Angriff und Verteidigung, Aktion und Reaktion, fast ein paradiesischer Zustand also, auf Erden deshalb nur ansatzweise zu verwirklichen.

(Guter) Geschmack als Vermögen einer Fähigkeit, die nicht in gleicher, aber ähnlicher Weise (aus) zu bilden ist, wie andere Fähigkeiten des Menschen. Nicht unerheblich im Zusammenhang mit gesunder Urteilskraft.

Ihr Anziehung wie Reserviertheit wiederspiegelnder Blick hängt auf dem gegenübersitzenden Paar, weniger auf den beiden jungen Leuten, als auf dem kleinen Kind, das fröhlich auf dem Schoß seiner Mutter herumturnt. Er scheint zu sagen: wäre doch schön, ein Kind, aber wer könnte der Vater sein, und überhaupt, jetzt passt es einfach nicht.

Wann wäre Leidenschaft je ohne Blick und stünde nicht in Verbindung mit rechter Einfühlung? Nur, wenn es sich um blinde Leidenschaft handelte.

Der Mann saß am Straßenrand. Er hatte es sich auf einem zerschlissenen Sofa, das wer auch immer dort abgestellt hatte, bequem gemacht, ja, er thronte auf ihm wie ein kleiner König, ein König der minimalen Habe. Wenn da nicht die Wodkaflasche gewesen wäre, die er immer wieder gierig zum Mund führte, man hätte ihn für auserwählt halten können.

”Verhängnis” (franz. Originaltitel „Damage“), von Louis Malle. Ein Mann, verheiratet, gut situiert, mit glänzender Stellung, eher nüchtern-überlegter Natur, verfällt einer obsessiven Leidenschaft zur zukünftigen Frau seines Sohns, die von dieser ebenso obsessiv erwidert wird. Am Ende verliert er Ehefrau, Familie, gesellschaftlich-politische Stellung, den Sohn, der zutiefst verletzt zu Tode kommt, auch das Objekt seiner Obsession. Einmal noch, nach Jahren unsteten Reisens und schmerzhafter Selbsterforschung, erblickt er seine einstige Geliebte, zusammen mit einem andern und einem Kind an der Hand. Allen ehemaligen Reiz hat sie nun für ihn verloren und er erkennt in seiner selbstgewissen Einsamkeit, dass ”wir uns der Liebe hingeben, weil wir wenigstens spüren wollen, was wir nicht wissen können” (und auch damit zutiefst irren können).

Bei 38° im Schatten kommt so manche Arbeit zum Erliegen. So auch bei den Arbeitern, die im Schatten einiger Büsche entlang der Bahngleise ihre Zeit absitzen, jeder mit seinem Smartphone beschäftigt.

Regionale Probleme lassen sich nicht globalisieren, aber Globalisierungsprobleme durchaus regionalisieren.

Ich lebe mit etwas unterkühlter Leidenschaft. Das gefällt der Leidenschaft nicht und sie begehrt auf. Dann mach’ ich ziemlich verrückte Sachen, die ich mir lieber nicht zugetraut hätte. Zum Glück beruhigt sich die Leidenschaft irgendwann wieder. Eine Zeit lang gibt sie Ruhe, bis zum nächsten Mal.

Das postheroische Zeitalter muss etwas sein, dem jeglicher Sinn für Heldentum abhanden gekommen ist. Sein Wahlspruch: nichts sinnloser als eine Heldentat.

Neulich lief mir doch glatt ein Held über den Weg. Und weil das heutzutage nur noch selten vorkommt, nutzte ich die Gelegenheit, ihn anzusprechen und nach seinem Befinden zu erkundigen. Es gehe ihm gut, antwortete er mir, als Held sei man ja sozusagen mit dem Tod verbandelt, träfe man ihn, sei es auch recht.

Da sitze ich so und schaue den wandernden Schatten zu und weiß gar nicht mehr, welcher meiner ist. Erhebe ich mich dann, um ihn zu suchen, ist er sofort zur Stelle und heftet sich an meine Fersen.

Partnerschaft und Beziehung aus der einfachen Erkenntnis heraus, dass man gemeinsam und je für sich durch Trennung mehr verliert als gewinnt.

Wie so oft, man sieht nur die Spitze des Eisbergs. Die bedrohlich gewaltige Masse im Verborgenen, man könnte sie ahnen, aber man will sich nicht ausmalen, was sie bedeuten könnte, denn das hieße, den Kurs wechseln zu müssen, solange noch Zeit bleibt.

Menschen, die übersatt sind. Keine Visionen, geschweige denn Mut, konsequent für sie einzustehen.

Die Neigung zu Oberflächlichkeit und Einfalt, die nicht unerheblich hilft, das Leben auszuhalten.

Immer dieses Zurückschrecken vor allem weiteren.

Manche können sich nicht vorstellen, was sie sehen, andere stellen sich nur vor, was sie auch sehen können.

Meine Vorstellungen stammen samt und sonders aus den Jahren der Vergangenheit. Zukünftig gibt es nichts, dessen ich mich guten Gewissens erinnern könnte, zu denken für mich.

Wie der Mensch nun mal ist. Das eigentlich nicht Aushaltbare wird ignoriert und der Irrtum zur Richtschnur eigenen Handelns gemacht.

Angenommen, Sie verfügen über einen Rohstoff, den andere, viel zu viele andere, dringend benötigen. Wie würden Sie diesen Rohstoff abgeben? Zu gleichen Teilen und festgesetztem Preis, oder Verkauf an die Meistbietenden, oder würden Sie sogenannte systemrelevante Prioritäten beim Verkauf setzen?

Man kann nicht schlecht genug von sich denken, aber auch nicht gut genug. Darin besteht vielleicht überhaupt die Chance, tatsächlich gut von sich zu denken.

Ein Künstler stellt sich über alles. Das ist doch mal ein schöner (wunderbarer, kunstvoller) Irrtum.

Es gibt Menschen, die haben eine abgrundtiefe Scheu vor kreativem Chaos, verständlicherweise. Er, zum Beispiel, ein durchaus aufgeklärter, begabter Mensch, schreckte lebenslang davor zurück, so sehr, dass er ein langweiliges, an Überraschungen mehr als armes, also ein glückloses Leben führte. Bis er, und da war es fast schon zu spät, alles Planvolle entschlossen vom Tisch wischte und wurde, wie er schon lang vorher der Anlage nach hätte sein müssen: ohne Kalkül. Das hat die Kunstwelt ihm nie verziehen.

Man glaubt es nicht, auch Kritzeleien stellen eine nicht zu unterschätzende, gestalterische Herausforderung dar (die im Wesentlichen der Zufall erfüllt).

In Gedanken war er zu vielem fähig. In Realiter aber scheiterte er schon an einem kleinen in die Wand zu schlagenden Nagel.

Das Leben ist eine Zumutung, der Tod auch, und was nicht sonst noch alles.

Ein Arrangement wird selten jedem Geschmack gerecht. Wie hilfreich, einzelne Posten herausnehmen und austauschen zu können. Mit Menschen geht das leider nicht. Da heißt es entweder/oder.

Ich könnte ja sagen: heute mach’ ich nichts. Ich habe zwar gestern auch nicht viel gemacht, aber heute habe ich ganz besonders keine Lust, irgendetwas zu machen. Und ich könnte auch noch sagen, dass ich all das, was ich so tue, nicht tun müsste. Aber ich sag’ das nicht. Und erst recht nicht handle ich danach. Ich habe nun mal nicht gelernt, nichts zu tun. Man glaubt ja nicht, wie schwer das ist. Sich das Nichtstun selbst beizubringen, ist so gut wie unmöglich. Ich müsste noch einmal in die Schule gehen. Aber in welche?

Gedankenfischerei, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Zwar selten mal ein Leckerbissen. Aber dafür lohnt es sich.

”Mit nichts bin ich so vertraut wie mit nichts”, pflegte er immer zu sagen, wenn ihm nichts mehr einfiel.