Dec 2023

Obwohl ich Schwarz-Weiß-Fotografie mag, lege ich keinen großen Wert auf persönliche Fotografien. Statt eines Albums, ob virtuell und/oder real, besitze ich nur einen ältlichen Schuhkarton, in dem Familienfotos quer durcheinander liegen, die mehrheitlich andere geknipst haben. Dagegen habe ich mich vor vielen Jahren für einige Zeit mit (analoger) Makrofotografie beschäftigt. Mit einer alten Spiegelreflexkamera plus Makro-Objektiv, beides einst gebraucht erworben, hielt ich pflanzliche Objekte fest. Einige schöne Arbeiten sind damals entstanden. Schon merkwürdig, dass es diese Fundstücke, denn um solche handelte es sich, nur noch auf diesen Fotos zu sehen gibt. Die Originale haben längst den Weg natürlicher Auflösung genommen. Und wie ich eben darüber nachsinne, muss ich daran denken, dass es mir einmal genauso gehen wird. Dann werde auch ich nur noch auf Fotografien zu sehen sein.

Der noch als jung zu bezeichnende Mann hatte seinen Schädel seitlich rasiert, während obenauf kleine Locken mit Schleifchen prangten. Das war auf den ersten Blick das einzig Auffällige. Doch dann schraubte er eine Plastikflasche mit Wasser auf, um aus einem anderen, viel kleineren Behältnis mittels eines winzigen Messlöffels vorsichtig grünliches Pulver in die Wasserflasche zu bugsieren, die er anschließend kräftig schüttelte, wobei der Inhalt sich gelbgrünlich verfärbte. Er nahm kennerhaft einen Schluck von der Flüssigkeit, schien geschmacklich zufrieden zu sein. Dann verstaute er Wasserflasche, Pulverbehältnis und Messlöffelchen in seinem Rucksack.

Ich fahre im ICE gern ganz vorn oder ganz hinten. Da hat man meist seine Ruhe. Manchmal nehme ich direkt hinter dem Lokführerstand Platz in einem Abteil mit acht Sitzplätzen. Wenn ich Glück habe und der Zug nicht zu voll ist, bleibe ich auch da ganz für mich. Neulich betrat eine junge, adrette Frau dieses Abteil und verschwand hinter der Tür zum Fahrstand. Kurze Zeit später setzte sich der Zug in Bewegung.

Eine Gruppe aufgedrehter Frauen (jung oder mittelalt?, eher letzteres) palavert an mir vorbei. Sie haben winzige Weihnachtsmannhütchen im Haar, die man auf den ersten Blick kaum erkennt. Müsste ich jetzt nicht von Weihnachtsfrauhütchen sprechen?

Obwohl Mitte Dezember, ist es relativ mild. Die jungen Leute tragen dem verträglichen Wetter relativ leicht bekleidet Rechnung, als ob sie sagen wollten, dass sommerliche Verhältnisse ihnen jetzt im Moment lieber wären.

Und nicht nur zur Weihnachtszeit! Aus allem, vor allem aus sich selbst, das Tempo rausnehmen. Entschleunigung als Heilmittel.

Weihnachtsmärkte sind stimmungsvolle Reminiszenzen an eine weit zurückliegende Zeit, die noch echten Mangel kannte und sie, die Weihnachtsmärkte, dadurch zu etwas ganz Besonderem (Einmaligem) machte. Heute ist der Duft dieser Besonderheit verflogen, vermutlich weil er uns in Form ungebremsten Konsums an 365 Tagen im Jahr umfassend verführerisch und verführerisch umfassend benebelt. Nun, auch Erinnerungen gehören zur Gegenwart und man wünscht sich, dass es sich um schöne handelt, wenigstens.

Sagt jemand: wir tun, was wir können, versucht er in der Regel seine allzu langsame und zögerliche Vorgehensweise zu entschuldigen. Die einzig richtige Antwort ist: das reicht aber nicht; sie müssen entschieden mehr tun, als sie zu können vorgeben.

Bilder können täuschen, Gedanken auch.

Man ist erwachsen geworden, wenn man gelernt hat, die bedrängenden existenziellen Untiefen des (eigenen) Daseins (denen man nicht entkommt und denen man auch nicht wirklich gewachsen ist) mit allerlei (Zerstreuungs) Tricks zuzuschütten. Aus den Augen aus dem Sinn. Ob das sinnvoll sein kann, ist eine andere Frage.

Damit kann und will ich mich nicht zufrieden geben, dass es in allem, was ich sehe, nicht mehr zu erkennen geben soll, als das, was ich zu sehen bekomme. Da muss es doch Tieferes geben, Bedeutungsvolleres, über den reinen Augenschein hinaus (und doch mit ihm verbunden).

Ich bin selten weniger als das, was ich bin, und habe selten mehr als das, was ich habe.

Tradition ist etwas, das wir beibehalten, weil es schon immer oder seit geraumer Zeit beibehalten wurde, obwohl wir ahnen (vielleicht schon immer oder zumindest seit geraumer Zeit), dass die Beibehaltung nicht ansatzweise den Kern dessen berührt, wofür sie, die Tradition, einzustehen vorgibt.

Morgendlicher Dunst entzieht das vor meinen Augen Liegende halb und halb. Für eine gewisse Zeit erkenne ich nichts mehr ganz und das, was ich wahrnehmen kann, ist Anlass mehr für Vermutungen als reale Zuschreibung. Ich würde vorziehen, diesen Entzug beizubehalten und ihn begleiten zu dürfen über den ganzen, sich hinziehenden Tag. Nicht rühren würde ich mich und hätte immer ein nicht klein zu redendes Ziel vor Augen: Zwielicht verleiht der Natur Würde.

Verhältnisse sind nicht so streng getrennt (und auch nicht zu trennen) wie angenommen wird. Wir sind durchaus in der Lage, auf den ersten Blick Unvereinbares in Verbindung zu bringen und verbindlich zu leben. So müssen sich zum Beispiel Kunstschaffen und Familie, Familie und Beruf überhaupt, nicht per se ausschließen, wenngleich es sich zugegebenermaßen um eine nicht zu unterschätzende integrative Herausforderung handelt.

Mein Körper macht mit mir, was er will. Schon dass er mir jeden Tag Knall auf Fall mein Alter offeriert, obwohl ich ihn doch gar nicht darum gebeten habe, ist eine Unverschämtheit.

RSK. Ein einziges Mal kommt sie zu Besuch. Man begegnet sich in der Cafeteria. Sein Anstaltszimmer wäre ihm zu intim für diesen prekären Anlass. Dass sie immer noch eine attraktive Frau ist, denkt er sich. Dass sie ihn immer noch, sobald sie vor ihn hintritt, für sich einzunehmen (ihn in ihren Bann zu schlagen) vermag, spürt er unmittelbar. Und des weiteren sagt er sich, dass er dieser Frau, gerade weil sie einen derart starken Einfluss auf ihn ausübt, nie hätte begegnen und sich schon gar nicht auf ein Zusammenleben mit ihr hätte einlassen dürfen. Eine Frau darf einen nicht seelisch ruinieren können. Dieser Gedanke beschäftigt ihn noch, als er den Schlüssel, es ist der Schlüssel zu seiner Wohnung, den sie vor ihrem Abgang, kaum Notiz von ihm nehmend, wortlos auf den Tisch gelegt hat, an sich nimmt.

Es gilt, in den Ecken zu kramen, in denen man noch nie oder schon lang nicht mehr herumgekramt hat. Vielleicht hat sich wider Erwarten etwas eingefunden dort. Oder man hat in zurückliegenden Kramaktionen etwas übersehen, das man jetzt überraschender Weise neu entdeckt. Mir fiel neulich auf dem Dachboden, den ich auf der Suche nach einem passenden Karton durchstöberte, eine mir zunächst unbekannte Mappe mit Zeichnungen in die Hände. Sie enthielt drei Blätter, auf denen jeweils ein ausgestopfter Vogel, eine Kaffeekanne mit Tasse und ein ziemlich hässliches Gesicht zu sehen waren. Auf der Rückseite der Blätter stand mein Name und die Klasse. Schul-Arbeiten also, dachte ich mir, deine, und war erstaunt: Der Junge hat Talent.

Es kann (im Sinne eines gedeihlichen Miteinanders in einer Gesellschaft) nicht darum gehen, superreich, sondern nicht arm zu sein (im Sinn von: nicht jeden Cent umdrehen zu müssen, bevor er ausgegeben wird).

Die Bäume ächzen unter der Last von Schnee und Eis. Nachts höre ich sie leise unregelmäßig knistern und knacken. Selbst die Dachbalken stimmen mit ein.

Noch ein Nachtrag zum „Leseprobieren“. Nicht nur, dass die Anzahl der Seiten einer Leseprobe mit der Anzahl der Seiten eines Buchs wächst; für meinen Eindruck handelt es sich um etwa zehn Prozent des Buchtextes, der im Rahmen einer Leseprobe zur Verfügung steht.

Etwas fehlt uns immer, zuweilen - und öfter als wir denken - auch die Einsicht.

In dem Maß wie ich anwesend bin in meinem Tun, bin ich für anderes und andere abwesend.

Das Leben besteht manchmal aus verpassten Gelegenheiten, die bei näherer Betrachtung gar keine gewesen wären (hätte man sie beim Schopf gepackt).