Nov 2023

Wollen wir etwas verändern, dann (in der Regel) zum Guten. Veränderung zum Schlechten strebt normalerweise niemand an. Trotzdem können sich Verhältnisse in ungute Richtung bewegen, scheinbar ohne unser Zutun und obwohl wir uns die berechtigte Frage stellen, welchen Anteil wir selbst daran haben.

Viele Menschen denken und handeln imperial, ohne dass ihnen das bewusst ist. Wer zum Beispiel der Meinung ist, er dürfte sich alles leisten und hätte sogar das Recht dazu und einen Anspruch darauf, denkt imperial. Die ungehemmte Welt des Konsums ist heute eine der imperialsten, die es gibt, eine scheinbar unerkannte Bedrohung für Mensch und Welt.

Langweilig und kurzweilig. Könnte man sich entscheiden, man würde wohl zur Kurzweil tendieren, nicht ahnend, dass man mit seiner Wahl automatisch das Pendant mitgeliefert bekommt. Man übersieht, dass das eine nicht zu haben ist ohne das andere und wird unangenehm überrascht sein vom Auftauchen des langweiligen Momentum, ungehemmter denn je darum der Kurzweil frönen wollen und sich wundern, dass die Langeweile nicht zum Verschwinden zu bringen ist, sondern im Gegenteil sich immer bedrohlicher aufbaut, Innen wie Außen.

Nichts beeinträchtigt das Zusammenleben der Menschen so stark wie übergeordnete Ideen (die, scheinbar ganz selbstverständlich, schnell zu Ideologien werden).

Um den rechten Moment ergreifen zu können, muss ich den falschen kennen.

Künstlerisch betrachtet bin ich, wenn ich nicht weiter weiß, auf dem richtigen Weg.

Wir brauchen heute mehr denn je eine Kultur der Langeweile. Sie bestünde zunächst einmal darin, ungehemmt langweilig zu sein. Der Langweiler als etwas komische, gleichwohl willkommene Figur der Moderne.

Erreichbarkeit ist eine Maß-Einheit.

Was das Leseprobieren anbetrifft, muss ich noch etwas nachtragen. Manche Leseproben umfassen doch mehr als dreißig Seiten. Das hängt, so vermute ich, von der Gesamtzahl der Seiten eines Buchs ab. Je umfangreicher, desto mehr Lesestoff stellt die Leseprobe erfreulicher Weise zur Verfügung.

Es ist 5 Uhr und 51 Minuten. Soeben bin ich aufgestanden und stehe nun am Fenster meines Schlafraums. Der volle Mond leuchtet mich an und überzieht alles mit einer fahlen Helligkeit. Auf den umliegenden Dächern frostglitzert es. Aus den Schornsteinen fossiler Feuerungen quillt silbriger Rauch. Dies wird ein besonderer Tag, höre ich mich sagen, ohne dass ich genau bestimmen könnte, warum.

Jedes Kind stammt aus einer heilen Welt und bewahrt sich diese, so lang es geht (auch in einer unheilen), was dem Erwachsenen nur (noch) ausnahmsweise möglich ist.

Das eigentümliche, und darum vielleicht Besondere an seinen Tagen ist, dass es nichts zu tun gibt. Einerseits. Auf der anderen Seite frisst dieses Nichtstun (als Resultat dessen, dass es nichts zu tun gibt) diese Besonderheit seiner Tage ungeniert auf. Er müsste doch etwas tun ab und zu, damit er nichts tun könnte. Ansonsten blieben Zeiten, die einer Mahlzeit glichen, die er nie zu Gesicht bekäme, geschweige denn genießen könnte.

Ich bin ein Verfechter unscharfer Situationen. Das kommt meiner (angeborenen?) Neigung, mich nicht entschließen zu können, entgegen.

Entschließen. Was für ein bildreiches Wort. Ich lasse es in mir erklingen und sehe mich augenblicklich mit einem Schlüssel in der Hand vor einer Tür stehen, den Schlüssel ins Türschloss stecken und aufschließen. Entschließen, sage ich mir, das bedeutet in etwa öffnen, im übertragenen Sinn dann: wer sich entschließt, öffnet sich (für was auch immer).

Imperialismus lässt sich nicht beschwichtigen und religiöser Fanatismus erst recht nicht. Das liegt ausschließlich an den entsprechenden Menschen, denen man entschieden entgegentreten muss, will man seinen Frieden haben.

Auf Dauer machen mich gleichförmige Tage fertig. Ich glaube, anderen geht das auch so. Gleichförmig ist der Tod (der uns alle gleich sein lässt) und der Tod hat im Leben nichts verloren, nur am Ende, das manchmal aber mitten im Leben und sogar am Anfang stehen kann.

Ich habe im Grund nie begriffen, dass man etwas tun muss, damit es einem gut geht. Diese Logik, die sich scheinbar unaufhörlich und millionenhaft unter Beweis stellt, ist mir bis heute fremd geblieben und mein Erstaunen über die Huldigung, die man ihr entgegenbringt, groß.

Leider sind wir (noch) nicht bereit zu verzichten. Das kann uns noch teuer zu stehen kommen.

Habe gestern Abend mal wieder leseprobiert. Eine meiner neuen Leidenschaften, dem Internet sei Dank. Statt mich mit billigen Taschenbüchern abzugeben oder sehnsüchtig auf die geringer werdende Anzahl sorgfältig gebundener und kreativ gestalteter Bände zu schielen (die ich mir nur im Ausnahmefall leisten kann), stöbere ich seit Neuem in den online zugänglichen Sortimenten der Buchverlage. Neuerscheinungen fast immer, andere Bücher hin und wieder, sind dort mit dem Vermerk ”Leseprobe” gekennzeichnet. Um diesen Vermerk geht es. Klicke ich den an, wird mir eine Textprobe des entsprechenden Buchs zur Verfügung gestellt, kostenlos. Zugegeben, sie umfasst selten mehr als die ersten dreißig Seiten Text (inklusive Vorspann). Das ist nicht viel, gemessen am Gesamtumfang eines durchschnittlichen Buchs. Auch kann ich natürlich nicht erwarten, dass sich mir auf den ersten Seiten (es handelt sich immer um die ersten) die Story vollumfänglich entschleiert. Das stört mich aber nicht. Mir reicht in der Regel der Anfang einer Geschichte. Der ist meist vielversprechender als Fortgang und Ende. Da ich ein Abwechslung suchender und schnell ermüdender Leser bin, sind mir viele verschiedene Romananfänge lieber als ein ganzer Roman (auch beim Fernsehen oder Radiohören springe ich gern zwischen den einzelnen Programmen und Sendungen hin und her). Gestern Abend zum Beispiel habe ich die Leseproben von sieben Büchern unterschiedlicher Autoren verschlungen. Das macht bei durchschnittlich etwa 24 Seiten Lesestoff glatte 168 Seiten Text, was in etwa dem Umfang eines untermittelstarken Romans entspricht. Und das bei meiner Lesemüdigkeit!

Es heißt, der Mensch sei ein Gewohnheitstier. Das ist einerseits hilfreich, schränkt aber manchmal auch ein. Um letzteren Effekt zu vermeiden, sollte man geliebte Gewohnheiten ab und zu modifizieren. Folgender Tipp: Stehen sie morgens einfach mal zu anderen Seite auf. Sollte das aus irgendeinem Grund nicht möglich sein, zum Beispiel weil die Längsseite ihres Bettes zur Wand zeigt oder sie im Ehebett nächtigen, dann schaffen sie sich die Möglichkeit, indem sie das Bett von beiden Längsseiten zugänglich in den Raum stellen und/oder die Bettseite mit ihrer/m Partner/in tauschen. Sie werden staunen, wie sie sich und mit ihnen ihr Alltag durch diese vergleichsweise wenig aufwendige Gewohnheitsveränderung verändern.

Grundsätzlich weiß man bei allem, was man sich so leistet, immer erst hinterher, ob sich der Erwerb gelohnt hat, selbst wenn man das vermeintlich Einundselbe schon tausendmal erworben hat. Die Dinge unterscheiden sich in dieser Hinsicht nur dadurch, dass die einen lebensnotwendig sind und die anderen nicht.

Armut war früher etwas anderes als heute. Sie war existentiell (und das für viele). Heute fatamorganisiert sie nur noch systemkonform reguliert am Horizont der eigenen Existenz, wenn auch mit einem gewissen Bedrohungspotenzial (das manche auch überfällt und aus der Bahn wirft). Man gerät vielleicht nicht ins Bodenlose, aber der Boden, auf dem man sich bewegt, ist lose (geworden?)

Gestern das letzte Laub aus dem Garten gestrichen. Garten ist ab jetzt für einige Monate kein Thema mehr. Ich werde zufrieden und erleichtert hinausblicken auf seine kahle Zurückgezogenheit im fahlen Licht der knappen Tage, dann und wann und mehr beiläufig.

Kultur beinhaltet Neuentwicklung, Pflege und Wahrung von Bestehendem. Seit geraumer Zeit steht dabei eine möglichst umfassende Virtualisierung (Digitalisierung) im Focus, ob ausschließlich zum kulturellen Wohl sei dahingestellt.

Veränderungen sind gern mit Kosten verbunden. Die Frage ist dabei, ob die Kosten gerechtfertigt sind. Trotz intensiver Prüfung beantwortet sich diese Frage manchmal erst hinterher, wenn die Veränderung bereits herbeigeführt ist und die Kosten zu Buche schlagen.

Dass es in einer gut funktionierenden Beziehung auch auf Distanz ankommt, mag mittlerweile bekannt sein. Wie wichtig es aber ist, dem anderen (und damit auch sich selbst) nicht bis in die letzten Verzweigungen des Seelenlebens hinein kennenzulernen, zeigt das tägliche Zusammenleben.

Eine gute Portion Unbekümmertheit wäre auch nicht schlecht, insbesondere sich selbst gegenüber.

Neues stellt Altes immer in Frage. Wird man aber alt, hat man keine so große Lust mehr, sich in Frage zu stellen oder sich in Frage stellen zu lassen. Vermutlich ist das der Grund, warum alte Menschen, selbst wider besseres Wissens, oft unbelehrbar sind.

Die (digitale) Technik ermöglicht heute, mittels eines kleinen mobilen Geräts, auch bekannt als Smartphone, ganze Bibliotheken (in Bild wie Text) mit sich herumzutragen. Man könnte von einem persönlichen, mobilen Archiv sprechen, wobei die Frage sich aufwirft, was da im Gerät archiviert ist und zu welchem Zweck und ob überhaupt von einem auch nur ansatzweise archivarischen Tun gesprochen werden kann.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich mit Doppelgängern lebe. Meine Individualität ist nicht so einzelgängerisch wie ich das annehme. Es gibt mich mehrfach auf der Welt, davon muss ich ausgehen. Ich kann mich glücklich schätzen, wenn ich mir nicht aus Versehen begegne.

Gestern drei Säcke Laub auf den Wertstoffhof gebracht. Während ich den Inhalt meiner Säcke in den Container entleerte, wuchteten zwei Arbeiter mehrere Tonnen mit Abfallbatterien in einen Transporter. Ich habe keine Ahnung, wohin die Batterien gebracht werden und was dann mit ihnen geschieht. Sie werden recycelt, das weiß ich schon, aber wie das vor sich geht, ist mir völlig unbekannt. Ich sollte mich kundig machen.

Abends Halbmond, zunehmend. Das immerhin ist mir bekannt.

Ästhetisches Empfinden ist entwicklungsfähig, sofern es geschult wird. Leider wird es gesamtgesellschaftlich etwas vernachlässigt. Gäbe es sonst diese materiellen wie immateriellen Hässlichkeiten (man könnte auch von ästhetischer Umweltverschmutzung reden)?. Eigentlich arbeitet ästhetisches Empfinden an der Wiederherstellung des Paradieses (das darf man aber nicht laut sagen, sonst wird man für verrückt gehalten). Das müsste die Menschen doch freuen.

Die Leute machen sich lustig über mich. Objekte der Heiterkeit sind meine nach unten weisenden Mundwinkel. Ich würde aussehen wie ein Griesgram, sagen sie. Ich selbst halte mich eher für ernsthaft. Melancholisch, sicher, aber humorvoll. Kann sein, dass sich meine Mundwinkel im Lauf der Zeit weiter nach unten verlagert haben. Wen wundert’s und was soll’s. Man wird mich nicht anders machen, als ich bin.

RSK. Er hat bei der Anstaltsleitung angefragt, ob er dem Gärtner etwas zur Hand gehen dürfe. Dem wurde stattgegeben. Nun bewegt er sich stundenweise zwischen Beeten und Rabatten und sammelt die Hinterlassenschaften der Natur ein. Der Gärtner ist ein wortkarger, aber nicht unsympathischer Mensch. Neulich drückte er ihm eine Heckenschere in die Hand. Damit sollte er die Himbeerruten abschneiden. Diese Beauftragung fasste er als Vertrauensbeweis auf und rechtfertigte dieses Vertrauen in vollem Umfang.

Ich lebe (vermutlich schon seit meiner Kindheit), als ob es etwas Besonderes zu erwarten gilt, auch wenn gar nichts Besonderes in Aussicht steht. Tritt dann etwas Besonderes ein, bin ich überrascht (und auch ein wenig enttäuscht). Meist fällt die angebliche Besonderheit etwas dürftig aus. Meiner Besonderheitserwartung tut das keinen Abbruch. Irgendwann, das hat die Vergangenheit unter Beweis gestellt, kommt etwas Besonderes zustande, das die Bezeichnung Besonderheit verdient.

Meine Sehnsucht richtet sich auf nichts anderes als auf Sehnsucht. Das ist sehr erleichternd. Dafür muss ich keinen Finger krumm machen (was auch nicht zu empfehlen wäre).

Man denkt in Worten und Sätzen, vielleicht auch in Bildern. Man denkt in Außen-Innen-Verhältnissen, maßgeblich aber Innen, gezielt selbstschürfend und/oder selbstreflexiv, auch (und besonders gelingend) per Zufall.

Intellektuelle agieren gemäß ihrer geistigen Spannkraft. Sie benennen Probleme und suchen nach Lösungen. Ob zutreffend oder nicht, dass sie sich äußern, ist anregend. Sie müssen nicht, aber können ihre Äußerungen öffentlich machen. Es geht dabei weniger um das Kundtun einer Meinung, mehr um das anteilnehmende und anteilgebende Dokumentieren geistiger Arbeit.

Die transexistenzielle Eisenbahn. Es heißt, dass sie keine Endstation und keinen Startbahnhof kennt.

Vicco von Bülow (alias Loriot) wäre am 12. November hundert Jahre alt geworden. Im Fernsehen aus diesem Grund die Wiederholung seiner Satiren aus den siebziger Jahren. Ich sehe mir das ein und andere an und bin erstaunt, wie aktuell viele seiner humoristischen Einfälle immer noch sind, auch wenn die Erscheinungsform etwas in die Jahre gekommen ist. Sein feiner (fast immer treffsicherer) Humor entlang der Absurdität des ganz normalen Lebens ist nach wie vor sehr erfrischend.

Seit ihm klar geworden ist, dass es anderswo auch nicht anders ist, als anderswo, bewegt er sich nicht mehr vom Fleck. Er beharrt auf seinem, heute etwas aus der Mode gekommenen Recht auf Sitzhaftigkeit. Nur um beweglich zu bleiben, setzt er sich ab und zu über dieses Recht hinweg.

Die Morgensonne verwandelt den vor meinem Fenster aufragenden Baukran in ein orangefarbenes Kleinod.

In Würde altern. Da würde ich doch gern wissen, worum es sich dabei handelt.

Melancholie anlagebedingt und/oder Melancholie als Ereignis. Situationen, die man als melancholisch bezeichnen könnte, habe ich in meiner Kindheit einige erlebt, zunächst mit kindlichem Unverstand, dann mit analytischer Schärfe. Ab einem bestimmten Alter wurde mir zunehmend unbegreiflich, wie meine Umgebung so leben konnte, wie sie lebte. Ich ließ sie in Form jugendlicher Ausbruchsgewalt diese Unbegreiflichkeit deutlich spüren (zum Leidwesen vor allem meiner Mutter). Heute frage ich mich manchmal, ob sich mein Leben signifikant unterscheidet von dem Leben, das meine Herkunftsfamilie damals, zu Jugendzeiten, führte. Könnte meine eigenen Kinder nicht eine ähnliche Unbegreiflichkeit umtreiben, wie sie mir damals widerfuhr?

Wie soll man das Leben frisch halten, wenn es doch nach und nach verdirbt? Am besten man verbraucht es rechtzeitig (und mit Genuss).

Bei aller Kunst, wir leben in kunstfernen Zeiten. Wir können grundsätzlich fast alles wissen in dieser Hinsicht, haben aber kaum eine Ahnung. Fragen sie einfach mal nach. Sie werden staunen, was alles unbeantwortet bleibt.

Anregung soll auch für ältere Menschen anregend sein. Doch glaube ich nicht, dass die Erhöhung des Inputs (ein herrlich verharmlosendes Wort) im Alter sinnvoll ist (sofern man in diesem Zusammenhang von Sinn sprechen will). Dagegen könnte ein möglicher Gewinn darin bestehen, die Summe des (Un)Rats, den man über sein Leben hin in sich angehäuft hat, zu sichten, zu durchschauen (durchleuchten!) und zu sortieren nach Maßgabe erhellender Wiederverwertbarkeit. Geistiges Ausmisten sozusagen, ähnlich entlastend, wie materielles. Und hinein dürfte sowieso nur noch etwas von bleibendem Wert. Das kann nicht viel sein, eigentlich wenig bis nichts.

Man bewahre sich vor Über-, wie vor Unterforderung. Körper, Seele und Geist werden es danken.

Preise gewinnen zum Beispiel Milchkühe, auf Landwirtschaftsmessen, die mit den größten, weil ergiebigsten Eutern. Oder auch neuartige Tomaten mit besonders viel Fruchtfleisch und Aroma. Menschen belegen Plätze, zum Beispiel erste.

Ich bin eine verkrachte Existenz ohne Krach. Ich mache wenig Aufhebens um mich, andere auch nicht.

Eines Tages wird ihm klar, dass andere ihm durch ihr Verhalten signalisieren, er würde sie allein durch seine Anwesenheit nötigen. Das macht ihn ratlos, denn er weiß nicht wohin. In Luft auflösen kann er sich nicht.

Alltag zwingt zum Handeln. Alltag ist eine einzige große Handlungsanweisung. Deshalb habe ich mit ihm so meine Schwierigkeiten. Ich bevorzuge eher den Eintag, unbekannter Maßen der Gegenspieler von Alltag, aber kaum noch zu finden, geschweige denn zu realisieren.

Im Atelier das Porträt eines Mannes, das mir nicht gelingen will. Trotzdem mache ich ihn fertig, bis nichts mehr von ihm übrig ist. Porträtmalerei als Persönlichkeitstilgung und (wenn es gut läuft) -findung.

Traum. Ich schwimme im Meer, auf hoher See, sehr schnell, schneller als es einem Menschen normalerweise möglich ist. Ich muss irgendwo rasch hinkommen. Vor mir, in einiger Entfernung, große und kleine Frachtschiffe, die, wie am Schnürchen aufgereiht, in sicherem Abstand das Meer durchpflügen. Um mich herum Fische, mich an Größe weit übertreffend. Ich fürchte mich etwas vor ihnen. Doch scheinen sie eine Art Geleitschutz zu sein für mich. Sobald ich müde werde und unterzugehen drohe, schwimmen sie heran und halten mich über Wasser, bis ich mich wieder erholt habe und weiterschwimmen kann. Irgendwann lande ich an. Vor mir ein Strand mit verlotterter Strandbar. Dort kehre ich ein. Ein Fisch begleitet mich und verwandelt sich in einen Hund, der mir nicht von der Seite weicht.

Auch heute noch arbeitet sich der Mensch vor allem an der (alltäglichen) Realität weltlichen Daseins ab. Woran sonst?

Das Bewusstsein meiner selbst ist das Bewusstsein eines Bewusstseins.

Ihn treibt ein Kunstverlangen um, das mit (herkömmlicher) Kunst eigentlich nicht viel zu tun hat.

Gesellschaftliche Verhältnisse sind gern unverhältnismäßig.

Viel Lob für ein Auftragswerk. Eine schöne Arbeit, durchaus. Ich würde sie auch loben (würde man mich um eine Stellungnahme bitten). Ich frage mich nur, warum andere, nicht weniger gelungene Arbeiten nicht auch so überschwänglich gelobt werden. Nun ja, Künstler können wohl nie genug Lob bekommen.

Man wird sonderbar im Alter. Andere, Jüngere registrieren das vermutlich schärfer als man selbst. Man kann hoffen, dass sie über die Sonderbarkeiten mit Humor hinweggehen (vielleicht eingedenk des eigenen, noch bevorstehenden Älterwerdens), anstatt sich genervt abzuwenden.

Ich finde diese ständigen Bemerkungen zum Thema Alter ziemlich lästig. Ich sollte mir das abgewöhnen. Es könnte der Eindruck entstehen, ich kokettiere mit meinem Alter (geht das überhaupt?).

Wenn Ältere zu Jugendlichen sprechen, kommt selten etwas Gescheites dabei heraus. Ich zum Beispiel sage einer Zwanzigjährigen, dass ihr Pullover mit den unterschiedlich breiten, braunen und weißen Querstreifen ihr gut stehen würde, aber zu meiner Jugendzeit auch (schon einmal) Mode war. Dabei ist sie sichtbar glücklich einzigartig up to date modisch gekleidet zu sein. Welcher Jugendliche hört gern, dass alles schon einmal da war?

Der Gänsebraten (Gänse mögen mir verzeihen) am 11.11. war auch dieses Jahr wieder vorzüglich. Ich finde, er schmeckt am besten, wenn man ihn nicht selbst zubereiten muss.

Immer deutlicher das Erleben, dass im künstlerischen Procedere so etwas wie Entscheidung gar keine entscheidende Rolle spielt. Je weniger ich selbst entschieden habe, desto besser das Werk (was vermutlich etwas überpointiert formuliert ist, aber doch irgendwie stimmt, zumindest heutzutage und für mich).

Für einen Individualisten ist es kaum begreiflich, dass andere eventuell auch Individualisten sind (sein können).

Er kannte jemand, der in Büchern stöberte, wie ein Krimskramssammler im Flohmarktramsch. Kam ihm schön Formuliertes und/oder Geistreiches unter die Augen, musste er sich das sofort notieren. Er war ein Sympathisant des Mikroexzerpts.

Manchmal kann es sehr erholsam sein, sich für einen begrenzten Zeitraum zu exkommunizieren.

Die wenig schmeichelhafte und darum um so bedrückendere Erkenntnis, so viel zu sagen zu haben und so wenig bieten zu können.

Ich hatte (und habe noch, auch wenn sie seit zwanzig Jahren tot ist) einen anderen Bezug zur Mutter als mein Bruder, trotz pubertärer Rebellion verständnisvoller und (vor allem) nachsichtiger. Warum das bei meinem Bruder nicht so ist, werde ich vermutlich nie (mehr) erfahren.

Vergangenes ist vergangen, wenn es mit keinerlei Sehnsucht mehr verbunden ist. Diese Person muss ich nicht mehr kennen, diesen Ort auch nicht. Und am Ende kennt man gar nichts mehr, lässt alles ohne Last zurück.

Der Kran vor meinem Fenster, etwa einhundert Meter Luftlinie. Nachts fiel mir sein rotes Positionslicht auf. Ich konnte es zunächst nicht zuordnen. Es schien (in meiner Einbildung) zu pulsieren, glotzte mir aus der Schwärze bösartig entgegen, als ob es mir sagen wollte: gleich bist du dran. Erst als ich wahrnahm, dass das Rot stillstand, kam ich auf die Idee, dass es sich um das Warnlicht eines Krans handeln musste. Sehen konnte ich den Kran auf Grund der Dunkelheit nicht, aber mir fiel ein, dass sich ungefähr dort, wo das Rot leuchtete, eine Baustelle befand.

Die Fluggesellschaften machen wieder Gewinne. Mit mir nicht. Aber warum eigentlich?

Bin ich ein Zeitgeistverweigerer? Vermutlich. Dabei ist mein Geist durchaus nicht zeitlos. Ich stemme mich auch nicht gegen alles, was zur Zeit Unfug treibt. Die ausgehöhlten Kürbisse (früher waren es Rüben, aber die gibt es kaum noch), die mir nachts fratzenhaft von den Hauseingängen entgegen leuchten zum Beispiel, finde ich sehr stimmungs- und geheimnisvoll. Halloween dagegen. Zum Grausen! Und so weiter.

Zum guten Geschmack sei niemand verpflichtet, aber der schlechte soll mir gestohlen bleiben.

Gestern im Garten aufgeräumt. Neun große Säcke Laub und Nadeln.

Eine Gesellschaft alter Menschen, wie furchtbar. Wir sind aus vielerlei Gründen auf dem Weg dorthin. Ausscheren würde ich gern, mich in die Büsche schlagen. Aber ich gehöre dazu.

Auf der Stelle trete ich nicht, aber ich vermeine langsamer zu treten und ab und an muss ich auch austreten.

Manche leben über ihre Verhältnisse (sogar Staaten). Andere leben in Verhältnissen, in denen es nicht (mehr) auffällt, wenn über die eigenen Verhältnisse gelebt wird. Sie leben sozusagen in überlebten Verhältnissen.

Ein großer, weit verbreiteter Irrtum, Wohlstand isoliert zu betrachten (und Armut für überholt zu halten).

Zeitgleich, zeitfern.

Er war nie fähig, irgendjemand ganz anzugehören. Ein Teil von ihm blieb immer unbeteiligt fern, wie eine Landschaft im Nebel, die man mehr ahnt, als dass man sie sieht. Er musste (warum auch immer) irgendwann beschlossen haben, dass diese Landschaft in niemandes Besitz übergehen durfte. Vermutlich ein überlebenswichtiger Beschluss.

Im Grunde genommen ist diese dritte Lebensphase (nach Kindheit und Erwerbszeit), eine Zumutung. Aber die meisten Leute scheinen zufrieden zu sein.

Wer rastet, der rostet. Ich roste sogar, wenn ich nicht raste.

RSK. Besuche sind erlaubt, einmal pro Woche, für zwei Stunden. Dafür ist ein Besuchsraum vorgesehen. Auch eine Cafeteria gibt es, ein groß ausgelegter Glasanbau, in dem es sich entspannt sitzen lässt, Kaffee und Kuchen inklusive. Es ist gestattet, mit Besuchern im Garten spazieren zu gehen. Davon wird auch reichlich Gebrauch gemacht. Er selbst hat bislang noch keinem Besuch bekommen, auch von ihr nicht.

Ich weiß es zu schätzen (wie vermutlich viele), wenn mir Entscheidungen abgenommen werden, zum Beispiel durch die Zeit. Dabei ist mir bewusst, dass das nicht immer nur zum Guten führen muss. Nach meiner Erfahrung ist die Erfolgsquote ähnlich hoch (oder niedrig), wie wenn ich mich zu einem bestimmten Zeitpunkt bewusst entscheiden würde.

Ich lebe in dem Vertrauen, jederzeit sterben zu können und dass das kein Beinbruch ist.

Anselm Kiefer (siehe Film von Wim Wenders). Geschichtsschillernde Gigantomanie verbrannter Erde. Dazu Stroh, Asche, Blei und Beton. Von allem reichlich. Ach, und die vertrockneten Sonnenblumen noch. Aber: das muss man alles erst mal in Form bringen.

Der Zweck heiligt die Mittel nicht, aber die Mittel auch nicht den Zweck.

Richtig müsste es heißen: ’wer findet, der sucht’. Zugegeben: ’wer sucht, der findet’ klingt verheißungsvoller.

Der Freiheitsaspekt des einen entspricht dem Freiheitsaspekt des anderen. Mitunter ist diese Erkenntnis nur schwer zu ertragen.

Jede Moderne endet in einer Vergangenheit. Die Umkehrung gilt vermutlich nur für junge Leute. Von Gegenwart ist da noch überhaupt nicht gesprochen.

Man hat mich gewarnt vor der brotlosen Kunst, und das mit Recht (eben wegen der Brotlosigkeit). Ansonsten aber ging und geht dieser Warnung jegliche Berechtigung ab.

Ich gieße mir eine weitere Tasse Kaffee ein, schaue nach draußen in die sich merklich ausbreitende Morgenhelle und sage mir: es ist zwanzig Minuten nach Sieben. Dann schaue ich auf meine Armbanduhr und sehe, dass es tatsächlich zwanzig Minuten nach Sieben ist. Wie schön, denke ich, präziser geht es nicht.

Form und Inhalt, ein anhaltendes, kaum aufzulösendes Ärgernis.

Sein Glück war, dass ihm mehr Fähigkeiten zur Verfügung standen, als er unter normalen Umständen einsetzen musste. Vor allem in späteren Jahren kam ihm das zugute.

Dass ich in einer Demokratie lebe, kann ich unter anderem auch daran festmachen, dass ich mich mit scharfem Humor über Regierende und andere gesellschaftlich maßgebliche Leute lustig machen kann (und zwar öffentlich), ohne Repressalien befürchten zu müssen.

Es gibt Tierkörperbeseitigungsanlagen (oder Tierkörperverwertungsanlagen?) und Krematorien. Letztere dienen der Beseitigung menschlicher Körper, sind Menschkörperbeseitigungsanlagen.

Relativisten (die alles und jedes mit einem ’ja aber’ versehen) sind zu fragen, worin/woraus vor dem Hintergrund imperialer Machtentfaltung eine (nicht selbstzerstörerische) Verständigungsmöglichkeit (Kompromiss) bestehen könnte zwischen autokratisch-diktatorischen und demokratisch gesinnten Staatssystemen.

Das Leben ist sein größter Widerspruch, sagt er und träumt nach wie vor vom (verlorenen) Paradies.

Menschen, die heute noch unbeschwert und beschwingt reisen können, sind mir ein Rätsel.

Ich stelle mir vor, das Haus, das ich bewohne, ausschließlich mit (dem nachwachsenden Rohstoff) Holz zu beheizen. Dazu wäre eine wärmespeichernde Heizquelle nötig (möglicherweise auch im Obergeschoß), z. B. ein Kachelofen. Der müsste, um eine ausreichende Durchwärmung des Hauses zu erreichen, gleichmäßig unterhalten werden. Ich (oder eine andere Person) wäre gezwungen, mich um Holz und Befeuerung zu kümmern. Morgens würde ich zuerst die Asche des Vortags aus dem Brennraum entfernen, ihn anschließend mit Holz befüllen und Feuer machen. Etwa stündlich müsste ich Brennstoff nachlegen. Möglich wäre das, aber im Zeitalter von Photovoltaik und Wärmepumpe etwas antiquiert. Oder vielleicht doch eher modern?

”Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand”. Der Titel klingt weniger humorvoll, als der Film ist. Hinterher denke ich mir, dass ich, sollte ich hundert Jahre alt werden, nie und nimmer so aus dem Fenster steigen würde, wenn überhaupt.

Als ich jung war, hatte ich nicht den Eindruck, dass mein Körper macht, was er will. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher.