Traum. Das Panorama war beeindruckend, zugleich mysteriös wie unbeschreiblich schön. Um mich herum schroffe Berghänge, denen idyllische Dörfer anhingen wie edler Schmuck. Sonne, trockene Wärme, knarzig-krumme Bäume, Duft nach Harz und Wildkräutern aller Art. Ich saß auf einem Felsvorsprung, der Teil einer ungelenken Treppe war, die aus dem Gewässer vor mir in die Höhe stieg. Ich hoffte auf einen Weg, weiter oben. Hergeflogen war ich, ein Vogel in Menschengestalt, hinweg über den die Talsohle ausfüllenden See, in dem sehr seltene, vom Aussterben bedrohte Haifische aufgezogen wurden. Ich konnte ihre schlanken Körper sehen, die elegant dahinglitten im Wasser unter mir. Ich flog knapp über der Oberfläche und ein wenig hatte ich Sorge, ein Hai könnte hochschnellen und mich packen. Am Ende des Sees dann, vielleicht auch ein breit ausgebuchteter Fluss, eine Art Staumauer. Waren die Haifische ausgewachsen, sprangen sie wie Delphine drüber und schwammen im jenseitigen Gewässer in die Freiheit. Ich saß noch dort, am Rand, hoch oben auf meinem Felsvorsprung, und blickte gebannt in diese archaische Landschaft, als ich in die Tageshelle hinüber glitt.

”Ach”, sagt Teiresias später, als ich ihm von meinem Traum erzähle, ”das kommt mir bekannt vor, da warst du heute Nacht gar nicht weit weg von meiner Heimat. Zu diesem See sind wir in meiner Kindheit immer schwimmen gegangen. Eigentlich ein breiter Flusslauf. Auch an die Mauer kann ich mich erinnern, von der wir ins Wasser gesprungen sind. Wunderschön gelegen alles, wie im Bilderbuch. Nur Haifische gab es dort zu meiner Zeit keine.”

Die Zeit hat der Mensch erfunden. Vor ihm gab es keine. Anscheinend hatte er Zeit nötig, im Gegensatz zu allen anderen Kreaturen. Die müssen seitdem in dieser vom Mensch erdachten Zeit leben, ob sie wollen oder nicht.

Der Mann an der Theke, der mir beim fünften Bier erzählt, dass sein Körper, seit seine Frau ihn verlassen hat, komplett verrückt spielt. Bis zu diesem Verlassenheitsmoment hat er ihn nie gespürt. Aber jetzt, ständige Sensationen. Er fühlt sich todkrank, ist ein einziges Nervenbündel, ein Angstwrack. Er ist schon bei vielen Ärzten gewesen, Spezialuntersuchungen noch und noch. Die finden nichts, sagen alle das Gleiche: er sei kerngesund.

Seit gestern denke ich, ich habe genug gedacht, bis auf den einen Gedanken noch, heute.

Ein Trottel, der denkt, es gäbe nichts mehr zu denken, sagt Teiresias, ein Weiser allerdings, der keinem Gedanken nachhängt.

Am besten ist, wenn ich gar nicht mitbekomme, dass ich arbeite. Leider gelingt das nicht oft. Das Beste kann eben nur selten das Beste sein.