Ist müde sein für mich etwas Neues oder bereits tägliche Begleiterscheinung? Muss ich mich jetzt mit Müdigkeit befassen wie mit schlechtem Wetter? Nein, sage ich mir, das nicht, noch hat Müdigkeit keinen anhaltenden Besitz von mir ergriffen. Noch bin ich leidlich tatkräftig, wenn auch nicht wie früher. Haushalten mit meinen Kräften muss ich, aber ich benötige keinen Mittagsschlaf. Pause ja, Schlaf nicht. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen. Aber es wird den unvermeidlichen Alterungsprozess nicht aufhalten können. Ob es mir passt oder nicht, früher oder später werde ich mich mit dem Verlust körperlicher und vielleicht auch geistiger Kraft abfinden müssen. Jung bin ich bei weitem nicht mehr, auch kein Mann in seinen besten Jahren. Ich werde alt, nicht greisenhaft alt, jungalt im Rahmen von alt eben.

Der vollbesetzte Zug bleibt im Bahnhof liegen, einem Bahnhof eher untergeordneter Größe und Bedeutung, einfach so, als ob jemand von jetzt auf gleich die Triebwerke abgestellt und beschlossen hätte, dass sich dieser Zug von nun an keinen Meter mehr weiter bewegt. Die Durchsage des Zugbegleiters, aus der nichts anderes zu entnehmen ist, als man selbst vor Augen hat, nimmt man noch mit Heiterkeit auf. Mit etwas Galgenhumor sagt man sich, was soll man von dieser Bahn auch anderes erwarten als Pannen. Dann aber schlägt der Humor in Unmut um. Es dämmert einem, dass man sich ausgiebig verspäten wird. Anschlusszüge weg, Ersatzverbindungen ungewiss. Kein Grund zur Freude also. Voll Freude allerdings verkündet der Zugbegleiter per Durchsage (und man spürt, wie er sich freut), dass man sich als kleines Trostpflaster im Bordbistro ein Freigetränk, eine kostenlose Flasche Wasser, abholen könnte. Vermutlich denkt er an den Wasserhaushalt älterer Reisender, zu denen man selbst auch gehört. Man überlegt noch ernsthaft, ob man den Zug verlassen, ein Taxi nehmen und die 40 Kilometer zum nächstgelegenen, verkehrstechnisch bedeutungsvolleren Bahnhof fahren soll, mit der vagen Aussicht auf weiterführende Verbindungen. Aber man lässt es dann, weil man zum Glück rechtzeitig erkennt, dass alle Züge, die von diesem größeren, 40 Kilometer entfernten Bahnhof aus passen könnten, genauso auf der Strecke liegen und warten, wie der, in dem man selber sitzt, nur streckenplan-technisch hinter einem. Und dann reibt man sich verwundert die Augen und fragt sich, wie es sein kann, dass in einem so wohlhabenden Land der Zugverkehr nicht weitgehend reibungslos funktioniert.