Apr 2023

Eine junge Frau, fast noch ein Teenager, leckt sich mehrfach die Finger beider Hände und fährt sich schnell übers an sich schon glatt anliegende, am Hinterkopf sorgfältig zusammengefasste Haar. Sie steht, in schickem Outfit, mit einigen Freundinnen vor einem hauptstädtischen Boulevardtheater, scheint aber der Makellosigkeit ihres Erscheinungsbildes nicht ganz zu trauen. Auch der eng anliegende Minirock muss noch mehrmals glatt gezogen werden, obwohl er keinerlei Falte zeigt (und nicht zeigen kann). Die Freundinnen sind ebenfalls outfitoptimierend mit und an sich beschäftigt. Alle lachen und schäkern erwartungsvoll. Zum Abschluss das fast schon obligatorische, digitale Selbstportrait, wozu das Smartphone auf der Halterung eines Wasserablaufs postiert wird und sich die Schönheiten possierlich davor aufbauen.

Die Obdachlosen unter der S-Bahnbrücke logieren (jetzt) in Zelten, die, umringt von ihren diversen Habseligkeiten, aufgereiht nebeneinander stehen wie auf einem Campingplatz. Das ist unterbringungstechnisch ein Fortschritt.

Die Anzüglichkeit, leider meist von Männern, beginnt mit dem ersten falschen Wort. Danach gibt es fast keine Richtiges mehr.

Der freundliche Taxifahrer, der mich durch die Hauptstadt chauffiert, stammt aus dem Libanon. Ein netter, aufgeräumter Mensch. Er scheint mich für sehr vertrauenswürdig zu halten, während er mir wie nebenbei eine Menge über seine Heimat und seine Familie verrät. Fast ist er ein wenig traurig, als ich aussteige und ihm zum Abschied Alles Gute wünsche.

Nach wie vor die Faszination und das Befremden über die Selbstverständlichkeit, mit der Menschen in der Öffentlichkeit smartphonieren und damit andere bewusst oder unbewusst an ihrem Leben teilhaben lassen. Ist das ein Indiz für die schwindende Fähigkeit der Gegenwart zwischen öffentlich und privat zu unterscheiden?

Manche Menschen scheinen Ausstellungen nur zu besuchen, um das zur Schau Gestellte möglichst schnell in ihr mobiles Endgerät zu bannen. Sie wenden sich von Objekt zu Objekt, bringen ihr Smartphone in Position und machen Klick oder Plopp. Von einem weitergehenden Interesse ist nicht zu sprechen. Dazu reicht die Verweildauer vor dem Ausgestellten nicht aus (aber vielleicht wird das Verweilen zu Hause nachgeholt, wer weiß). Nicht zu vergessen die Selbstaufnahme, eventuell mit Partner/in. Was gibt es Geileres als das gemeinsame Selfie vor der Kreuzabnahme (oder war es die Geburt?) Jesu?

Wir machen uns scheinbar keine Vorstellung, wieviel Müll wir (durch unser Verhalten) produzieren. Man könnte behaupten, wir seien mental (oder eher kardial?) müllverschmutzungsresistent. Wir sollten uns fragen, jeder für sich ganz persönlich: Wohin mit dem ganzen Müll? Was würden wir mit ihm anfangen, wenn wir ihn nicht mehr der Müllabfuhr und/oder dem Wertstoffcenter überantworten könnten, sondern selbst für seine Entsorgung Sorge tragen müssten?

Das idealtypische und das scheinbar realistische Porträt, und das dazwischenliegende mit mehr oder weniger Anteil an dem ein oder anderen. Und das ganz andere, das mit einem Porträt im engeren Sinn nichts mehr zu tun hat.

Die emailglasige Farbigkeit der altniederländischen Malerei ist für mich mit das Schönste, was die Kunstgeschichte zu bieten hat.

Zum Beispiel (auch) Künstliche Intelligenz, deren Entwicklungsperspektiven manch Urhebern plötzlich unangenehm bis unheimlich werden. Die späte Reue überzeugt nicht. Sie hätten es besser wissen können (vielleicht sogar müssen?). Trotzdem haben sie getan, was sie getan haben, mit wissenschaftlichem Enthusiasmus sozusagen. Jetzt lässt sich die Entwicklung nicht mehr rückgängig machen. Die Resultate sind in der Welt, viel sprechend und vielversprechend. Sie müssen genützt und sie werden genützt werden, ob zum Guten oder zum Schlechten.

Vor einer halben Stunde noch hätte ich Bäume ausreißen können. Jetzt fühle ich mich kraft- und antriebslos. Auch heute werde ich den Tag - der doch meine Zeit hätte sein sollen, meine kostbare Zeit - wieder einmal verdösen.

Ich lebe in einem Land, in dem man sich sorgt, leider zu oft und zu viel und zuweilen an der falschen Stelle und im falschen Moment.

Es gelingt mir einfach nicht, (recht)gläubig zu sein. Oder anders gesagt: ich glaube schon, aber ich bin nicht gläubig, oder ich bin gläubig, aber glaube nicht. Das ist kompliziert und eigentlich nicht zu verstehen.

Der Tod ist vermutlich nicht das, was allgemein angenommen wird. Aber so genau weiß das niemand. Es soll zwar welche geben (bzw. gegeben haben), denen es gelungen ist, ihn zu überwinden, und damit eine gewisse Kenntnis von ihm zu erlangen, aber man kennt sie nur vom Hörensagen und explicit zum Tod und ganz spezifisch haben sie sich auch nicht geäußert.

Ich kann durchaus auch normale Gespräche führen, aber es tut mir nicht gut. Das liegt daran, dass das Meiste, das als normal angesehen wird, für mich nicht normal ist.

Wer einen Namen hat (sich einen gemacht hat), ist in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr wegzudenken. Trotzdem kann er ihn verlieren, fremd- und/oder selbstverschuldet.

Gestern sah ich meinen Doppelgänger. Ein ungepflegter und schlampig gekleideter Typ, der schwankenden Schritts einer Trinkhalle zustrebte. Da ich nichts weiter zu tun hatte, beschloss ich, ihn eine Zeit lang zu beschatten.

Was für eine Entwicklung muss man durchlaufen haben, dass einem konfessionelle Gebräuche nichts (mehr) zu sagen haben, schon gar nicht etwas Bindendes. Aber möglicherweise handelt es sich dabei gar nicht um den Endpunkt einer Entwicklung, sondern einfach nur um zeitaktuelle Gleichgültigkeit allem Konfessionellen gegenüber. Manche (und zum Glück nicht alle), die auf rechten Glauben pochen, sprechen verunglimpfender Weise von Degeneration.

Nun weiß auch ich, was normal ist. Ich gehöre zum Kreis der Normalen. Aber ich muss vorher schon normal gewesen sein. Wie hätte ich sonst erkennen können, was Normalität ist?

Was heißt da Entwicklung, da es doch nichts Bleibendes gibt, kein Gewordenes, das von Dauer wäre. Man steht still. Man tritt nicht einmal auf der Stelle. Regung ist nichts als eine Vermutung. In Wirklichkeit regt sich nichts.

Wenn man weiß, dass etwas zu einem Problem werden könnte, läuft man Gefahr - bevor man überhaupt ein Problem hat - genau zu wissen, dass man ein Problem bekommt.

Manchmal muss man sich auch selbst zu seinem Glück zwingen.

Erlebnisfaul bin ich geworden. Von Erlebnishunger keine Spur. Nur Ereignislosigkeit scheint mir noch eine Reise wert.

Um mich herum übertausendfaches Leben, über der Erde und unter der Erde. Mit mir hat das so viel zu tun, wie es nichts mit mir zu tun hat. Aber es handelt sich um Leben, dem auch ich angehöre und das mindestens ein Quentchen Aufmerksamkeit verdient.

Die Spiele finden meist am Samstag statt (nur ausnahmsweise unter der Woche). Dann mache ich es mir bequem, mit Chips, Gebräu und Trallala. Meist gewinnen die Falschen. Wie im wahren Leben. Wie sollte es auch anders sein. Wenn dann doch einmal die Richtigen gewinnen, die, denen man das nie und nimmer zugetraut hätte, bin ich kurzfristig ganz aus dem Häuschen.

Ich bin schöpferisch (meinetwegen auch kreativ), aber ich habe nicht den leisesten Schimmer, warum und wozu. Wenn das dem lieben Gott auch so geht, muss man sich nicht wundern.

Ich hänge zu sehr an mir. Über mich lass’ ich nichts kommen. Darum wird das mit der Erleuchtung bei mir auch nichts. Ich müsste mich beiseite schaffen, über mich hinweg steigen können, aber dazu steh’ ich mir zu sehr im Weg.

Die Entwicklung der Menschheit (also auch meine) ist eine Frage der Frage(n).

Was man tut, obwohl man es besser gelassen hätte, und was man nicht tut, obwohl man es besser getan hätte.

In mir regt sich mal wieder der Veränderungstrieb. Mein Veränderungsdrang ist nicht weit entfernt von sinnloser Umtriebigkeit. Immer, wenn’s gerade schön geworden ist, so richtig behaglich, drängt es mich zum Aufbruch. Warum, weiß ich nicht. Dabei bin ich in einem Alter, in dem man nicht mehr aufbricht. Wozu und wohin, fragt berechtigter Weise eine zarte Stimme in mir. Aber sie fragt vergeblich, auch dieses Mal. In den Kammern meines Herzens wird bereits emsig gepackt. Von Bleiben keine Spur.

Neulich sah ich im Fernsehen einen geistlichen Würdenträger in vollem Ornat. Das hat mich unangenehm berührt. Ich muss sagen, je prunkvoller das Erscheinungsbild, desto größer mein Missempfinden.

Wir sind alle Heiden, denn wir können unmöglich an alles glauben.

Leben in einer Zeit formaler Nüchternheit. Allenfalls Material lässt man sprechen, wobei Sprechen an sich schon schwierig genug ist. Man könnte ja zu viel Worte verlieren und am Ende noch falsche. Aber, formale Nüchternheit hat auch ihr Gutes. Das Sauberhalten ist einfacher geworden.

Ich habe immer gemacht, dass ich fortkomme. Angekommen bin ich nie. Jetzt komme ich nicht mehr fort, ganz sicher nicht. Dass ich darum angekommen wäre, kann ich nicht behaupten.

Seit meiner Geburt läuft meine Lebenszeit ab. Trotz unermüdlichen Einsatzes ist es mir nicht gelungen diesen Prozess zu stoppen. Das ist ein niederschmetterndes Ergebnis. Und weit und breit niemand, der mit anpacken könnte.

Man pflastert sauberen Wohlstand. Man zementiert erfolgreich die Verhältnisse (die eigenen mit). Dann reibt man sich die Augen und wundert sich, dass nichts mehr wächst (man selbst auch nicht).

Das Schattenornament an der gegenüberliegenden Hauswand gewinnt mit höher steigender Sonne zunehmend an natürlicher Prägnanz. Wenn nur nicht die hässliche Dunstabzugsklappe wäre, mittendrin.